Interview zur Medienethik-Professur

In der Radiosendung „Impuls“ des SWR2 ist heute ein Interview mit mir gesendet worden. Es geht um den neuen Lehrstuhl für Medienethik an der Hochschule für Philosophie und welche Schwerpunkte ich als Professor dort setzen möchte. Das Gespräch führte Anja Brockert.

Das Interview kann hier nachgehört oder heruntergeladen werden. Originale Sendezeit war  der 19.7.2013, zwischen 16:05 und 17 Uhr (Link zur Sendung).

Darf man das Video des mutmaßlichen Attentäters von Woolwich zeigen?

Warnung: Die Links führen zu Seiten, die das Video zeigen. Nach meiner Einschätzung gibt es gute Gründe, das Video nicht zu zeigen bzw. nicht anzuschauen.

Das Video des mutmaßlichen Attentäters von Woolwich macht die Runde im Internet. Nach und nach scheint man sich jetzt Gedanken darüber zu machen, ob es statthaft ist, das Video zu zeigen. Im Spiegel-Online-Artikel zum Thema wird der Londoner Journalismusprofessor Ray Greenslade zitiert mit der Aussage, dass Zeitungen und TV-Stationen „komplett bescheuert“ wären, wenn sie das Video nicht zeigen würden. Spiegel-Online selbst zeigt das Video, genau wie natürlich Bild.de und auch FAZ-Online.

Süddeutsche.de schreibt dagegen:

Im Zuge der Berichterstattung verzichtet Süddeutsche.de bewusst auf die Veröffentlichung von Fotos und Videos mit blutigen Bildern zu diesem Vorfall. Uns ist bewusst, dass andere News-Seiten, auf die wir – nach sorgfältiger Prüfung – in unseren Texten verlinken, derartige Fotos und Videos möglicherweise zeigen. Wir glauben jedoch, dass in diesen Fällen der Informationsgehalt der verlinkten Artikel so hoch ist, dass Verweise dennoch gerechtfertigt sind.

Warum sollte man also das Video nicht zeigen?

Ein Argument ist, dass mit dem Zeigen des Videos die Menschenwürde des Opfers verletzt wird: Der Leichnam des offenbar gerade getöteten Opfers ist im Hintergrund zu sehen, während sein mutmaßlicher Mörder sich inszeniert und triumphiert.

Ach andere Gründe sprechen meines Erachtens gegen ein Veröffentlichung: Die schreckliche Tat wird durch die blutigen Hände, die Waffen und die zeitliche Nähe zum Mord sehr real und echt erfahrbar. Viele Menschen wollen so etwas nicht sehen und sollten geschützt werden – wenigsten durch eine Warnung über dem Video.  Eine Warnung fehlt völlig bei Bild.de, Spiegel Online und FAZ-Online – das halte ich allerdings für eine zu kritisierende Nachlässigkeit. Bei ITV, dem britischen Sender, der das Video offenbar zuerst ausgestrahlt hat, findet sich über dem Video der deutlich sichtbare Satz:

A warning that this video contains graphic images of a man with bloodied hands and holding a meat cleaver:

Auch Kindern und Jugendlichen sollte der Zugang zu so einem Material nicht zu leicht gemacht werden. Zwar kann über die Wirkung solcher Medieninhalte nur spekuliert werden und zwischen dem Anschauen solcher Videos und einer steigenden Gewaltbereitschaft gibt es meines Wissens nach keinen kausalen Zusammenhang. Aber ganz intuitiv würde ich sagen, dass Kinder vor solchen Medieninhalten geschützt werden sollten.

Moralische Überlegungen, also die Würde des Opfers, und Rezipientenschutz angesichts der Grausamkeit sollten in die Entscheidung einfließen, ob das Video gezeigt wird oder nicht. Natürlich besteht auch eine Informationsaufgabe und das Video ist ein wichtiger Fakt bei diesem Mord. Es bleibt eine Abwägungsfrage. In diesem Fall aber denke ich, überwiegen Gründe, die gegen eine Veröffentlichung sprechen.

Und in diesem Sinne ist Süddeutsche.de eben nicht „komplett bescheuert“ (s.o.), nur weil sie sich nicht dem allgemeinen Verhalten anschließt. Man muss nicht der Meinung sein, das Video besser nicht zu präsentieren, aber so eine Entscheidung sollte im journalistischen Alltag eine Option bleiben und nicht für „bescheuert“ erklärt werden.

Update 24.05.2013: Zitiert bin ich (mit Kollege Christian Schicha) zum Thema hier.

Update 28.05.2013: Eine interessante, ebenfalls kritische Einschätzung von Rainer Stadler zum medialen Umgang mit dem Video im Blog „IN MEDIAS RAS“ (Medienblog der NZZ).

Beitrag zum „vernetzten Individualismus“

Gerade ist in den „Katechetischen Blättern“ ein Beitrag von mir erschienen, der die sozialen Phänomene hinter Facebook und Co. (= onlinebasierte soziale Netzwerkdienste) versucht zu beschreiben.

Filipović, Alexander (2013): Individualismus – vernetzt. In: Katechetische Blätter 138 (3), S. 164–169.

Ich stütze mich in meinem Beitrag wesentlich auf das Buch „Networked. The New Social Operation System“ von Harrison Rainie und Barry Wellman. Hier die Einleitungssätze meines Beitrags:

Die digitale Welt der Kommunikation beeinflusst unser Leben in grundlegender Weise. Hinter unserem Gebrauch vom Internet, den mobilen, internetfähigen Geräten und hinter unserer Kommunikation in den sogenannten Social Media zeigt sich ein Muster, das zu einem neuen Paradigma menschlicher Interaktion, zu einem neuen Denkmodell und einer neuen Leitidee des menschlichen Selbstverständnisses schlechthin avanciert. Vernetzung scheint ein Begriff zu sein, der diese Veränderung am treffendsten auf den Punkt bringt. Damit wird nicht, wie man denken könnte, die Individualisierung rückgängig gemacht. Vielmehr ist von einem vernetzten Individualismus die Rede. Das vernetzte Individuum ist der Mensch der digitalen Internetwelt und der vernetzte Individualismus ist das neue soziale Betriebssystem (vgl. Rainie/Wellmann 2012).

Geht man von der These einer grundlegenden Veränderung der Kommunikations- und damit der Lebensweisen in der Welt der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten aus, kann man zunächst nach den Auslöse- und Beschleunigungsfaktoren dieses Wandels fragen. Sie werden als soziale und technische Innovationen auf dem Weg zum vernetzten Individualismus vorstellig (1). Wie dieses Paradigma als Praxis realisiert wird, zeigt sich exemplarisch daran, wie Beziehungen und Familien im Modus der Vernetzung »stattfinden« (2). Diese Ergebnisse verschränken sich mit den im Prinzip schon länger bekannten und auch bedrohlichen Phänomenen einer Mediengesellschaft, die mit Virtualität und Inszenierung medienphilosophisch auf den Begriff gebracht werden (3). In einem kurzen Ausblick werden daraus einige grundsätzliche Anforderungen an Erziehung und Bildung in einer Gesellschaft des vernetzten Individualismus deutlich (4).

(Quelle: Filipović 2013, 164)

Das ganze Heft (H. 3 der Katechetischen Blätter 2013, Jg. 138) steht unter dem Thema „Social Media“ und ist vor allem für Pädagogen lesenswert. Hier geht es zur Website des Verlags (Editorial und einige weitere Texte sind einsehbar).

Literatur

  • Filipović, Alexander (2013): Individualismus – vernetzt. In: Katechetische Blätter 138 (3), S. 164–169.
  • Rainie, Harrison; Wellman, Barry (2012): Networked. The new social operating system. Cambridge, Mass: MIT Press.

Papst und Medien, Katholische Presse, Kirche im Rundfunk – die neue Ausgabe von Communicatio Socialis (1/2013)

Die neue Ausgabe von Communicatio Socialis hat die Themenschwerpunkte Papst und Medien, Katholische Presse und Kirche im Rundfunk. Der Artikel „New Pope, New Hope“ gibt besipelsweise einen Überblick über die Papst-Euphorie der letzten Wochen (Volltext hier). Medienethisch besonders beachtenswert der Artikel von Nina Köberer: „Medienethik als Bezugsdisziplin normativer Medienforschung. Konsequenzen medienethischer Reflexion für die Praxis.“

Inhalt

Von Benedikt zu Franziskus

  • Annika Franzetti / Renate Hackel-de Latour / Christian Klenk: „New Pope, New Hope“. Papst-Euphorie: Plötzlich hat das Thema Kirche in den Medien wieder Hochkonjunktur
  • Roland Burkart / Jens-Peter Noll: Die Nachricht vom Papst-Rücktritt. Eine Anatomie ihrer Verbreitung
  • Besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Wahrheit. Ansprache von Papst Franziskus an die Journalisten (Dokumentation)

Katholische Presse

  • Christian Klenk: Die Ordens- und Missionspresse in Deutschland. Rahmenbedingungen, Angebot und Rezeption
  • Andrea Franzetti / Annika Franzetti:Die Lage der Bistumspresse – ein Blick über die Grenze. Kirchenzeitungen in Poona, Gitega und Leitmeritz
  • Burkhard Schäfers: Ausbildung für alle Medienbereiche. Das Volontariat in der katholischen Presse unter veränderten Vorzeichen

Kirche im Rundfunk

  • Christian Turrey: Das Gespräch mit den Vielen führen und die Herzen berühren. 25 Jahre Kirche im Privatfunk (KAPRI)
  • Christian Klenk: Vom O-Ton bis zur kompletten Magazinsendung. Die Beiträge der katholischen Kirche im privaten Hörfunk
  • Sven Herget / Verena Horeis: Kirche im medialen Abseits. Warum kirchliche Themen in den Radionachrichten nicht gehört werden

Medienethik

  • Nina Köberer: Medienethik als Bezugsdisziplin normativer Medienforschung. Konsequenzen medienethischer Refl exion für die Praxis

Dokumentation

  • Soziale Netzwerke – Portale der Wahrheit und des Glaubens. Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum 47. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel
  • Katholischer Medienpreis 2012. Flucht und Migration im Fokus
  • Kirchliche Filmpreise 2012. Auszeichnungen bei internationalen Festspielen
  • Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2013. Auszeichnung für Tamara Bach

Literatur-Rundschau

  • Gerda Schaffelhofer (Hg.): Du bist Petrus. Anforderungen und Erwartungen an den neuen Papst (Heinz Niederleitner)
  • André Schüller-Zwierlein / Nicole Zillien (Hg.): Informationsgerechtigkeit (Alexander Filipovic)
  • Marcus Bösch et al. (Hg.): Kill your Darlings. Handbuch für die Journalistenausbildung (Renate Hackel-de Latour)
  • Daniel Roth: Zündstoff für den „Columbine-Effekt“? (Melanie Verhovnik)
  • Konrad Dussel: Pressebilder in der Weimarer Republik: Entgrenzung der Information (Klaus Arnold)

Weitere Infos und Bezug hier.

Die Papstwahl und die Medien

Eigentlich wäre nach meinem Eintrag zum medialen Echo des Papstrücktrittes ein analoges Posting fällig zum Thema „Die Papstwahl und die Medien“. Nach dem medialen Stress der letzten Tage scheint spätestens jetzt eine Reflexion darüber in Gang zu kommen, was da medial eigentlich passiert. Ich verweise aus Zeitnot aber hier nur auf das Blog-Posting von Gerd Häfner, der nicht nur lesenswert kommentiert, sondern interessante Beiträge verlinkt.

Der Papstrücktritt und die Medien

Der Rücktritt des Papstes war ein immenses Medienereignis. Die Nachricht hat „eingeschlagen“. Innerhalb weniger Minuten hat sich zum Beispiel in Deutschland kein Mensch mehr für das Thema „Schavan“ interessiert. Wenn man sich nur die Titelseiten der internationalen Presse am Tag nach dem Rücktritt anschaut, sieht man, wie die Presse fast ungläubig reagiert und mit der Absurdität der Nachricht (“Papst kündigt Rücktritt an”) spielt oder das zumindest versucht (mein Favorit: „Pope Quits“, Daily Telegraph).

Inhaltlich und organisatorisch ist der Fall sicher eine Herausforderung für die Redaktionen gewesen, speziell in Deutschland. Einiges kommt hier zusammen, was kaum zeitgleich behandelt werden kann: ein Papst tritt zurück, ein deutscher Papst tritt ab, die Leistungen eines Intellektuellen wollen gewürdigt werden, Vorbereitung der Papstwahl, Spekulation um den Nachfolger – und alles das in einer Situation, in der die Katholische Kirche mit „Skandalen“ zu kämpfen hat (z. B. Missbrauchsfälle, Vatileaks) und in besonderer Weise mediale Aufmerksamkeit erfährt.

Anlass für eine Medienkritik?

Im Ganzen gesehen gibt die Berichterstattung um den Papstrücktritt und die anstehende Wahl keinen großen Anlass für Medienkritik. Richtige Ausfälle sind nicht zu verzeichnen oder habe ich nicht bemerkt. Der Boulevard war einigermaßen einfallslos, die Bild-Zeitung konnte mit ihrer schlappen Schlagzeile „Keine Kraft mehr” nicht an ihren legendären Titel von der Papstwahl („Wir sind Papst”) heranreichen. Der Titel der TAZ vom 12.2. („Gott sei Dank”) wurde meines Erachtens zu Recht als misslungen bezeichnet: Sie zeigt, dass ein negativer Vorbehalt, gerade wo er als originelles Witzchen inszeniert wird, selten zu einer weiterführenden Auseinandersetzung in der Sache führt.

Dem Fernsehen haben in den Sondersendungen die Experten gefehlt, so dass hier nicht selten Journalisten von Journalisten befragt wurden (z.B. Michaela Pilters von Peter Frey im Heute-Spezial am Tag der Rücktrittsankündigung). Deutlich wird daran, wie sehr der Katholischen Kirche „Köpfe” fehlen, die aus der Innenperspektive plausibel und sympathisch und unter Umständen dabei streitbar die eigene Sache vertreten. Andererseits hängt das aber auch mit der Fixierung der Medien auf Amtspersonen zusammen, wobei das wiederum auch mit den Strukturen der Kirche selbst zu tun hat.

„Papst-Content“ zwischen Rücktritt und Papstwahl

Die Menge an „Papst-Content” gerade in den ersten Tagen und jetzt bei der Vorbereitung auf das Konklave ist sicherlich bemerkenswert. Viel Abseitiges habe ich dabei nicht bemerkt. Auch um die lange Zeit zwischen Rücktrittsankündigung und Papstwahl zu überbrücken, brachte und bringt die Presse die Human-Touch-Geschichten zu Benedikt, einzelnen Kardinälen oder zu der Journalistin, die durch ihre Lateinkenntnisse als erste den Rücktritt überhaupt verstanden und in den Ticker gegeben hat. Das sind personalisierte „Stücke“, in und an denen das Ereignis exemplarisch deutlich werden soll. Man sieht an der Menge der Papst-Berichterstattung: Die katholische Kirche hat  – trotz und wegen ihrer besonderen Verfahren, Riten, Zeichen und Ämter – in Deutschland und weltweit eine große Aufmerksamkeit, die sich vor allem am Papst und an der „Zentrale” in Rom entzündet.

Eine Papstwahl ist immer ein Ereignis, das dieses Mal sicher durch den Rücktritt, aber auch zum Beispiel durch Vatileaks noch eine eigene Dynamik bekommt. Alle spüren, wie notwendig eine Reform der römischen Kurie ist. Die Spannung ist dieses Mal sehr groß, wie diese Reform angegangen wird, welche Reichweite sie haben wird und wer sie initiiert. Was sich mit dem Rücktritt, der Neuwahl, der Reform, den dann zwei Päpsten (emiritiert und amtierend) und dem weißen Rauch abspielt, ist ein Drama, durchaus in einem positiven Sinne. Es ist für sehr viele Menschen interessant, spannend und der Ausgang ist ungewiss. Die Menschen lieben das, und die Medien daher auch.

Lustig? Der Papst in den Social Media

Was allerdings nicht nur mir aufgefallen ist, ist der Unernst im Umgang mit der Nachricht vom Papstrückgang im Internet und den Social Media (vgl. die Artikel in SpOn, in der SZ von Johannes Boie, und in der TAZ). Egal, ob der Papst-Rücktritt jetzt das Ereignis mit der bisher größten Twitter-Resonanz der Geschichte ist oder nicht (die Messungen gehen da auseinander): der Kalauer, die lustig gemeinte schlaue Bemerkung, die ironische Respektlosigkeit, der Papst-Witz auf der letzten noch denkbaren Meta-Ebene des Phänomens – dieser Modus prägte im Wesentlichen die Resonanz im Internet.

Es wird daran deutlich, dass sich die Menschen nicht für den Papst, Benedikt selbst, das Verhältnis von Religion und Gesellschaft oder für die Bedeutung des Rücktrittes interessieren. Es wird nur deutlich, wie auch dieses Thema ganz aus der Ich-Perspektive dafür benutzt wird, in der eigenen Facebook-Timeline ein paar „Likes” einzusammeln. Natürlich gibt es unglaublich viel Qualität auch zu diesem Thema im Netz. Aber mir ist aus diesem Anlass aufgefallen, wie weit doch der Mainstream der Kommunikation in Twitter und Facebook von der Qualität eines öffentlichen Diskurses entfernt ist.

Führt der Rücktritt zu einem neuen medialen Umgang mit dem Papst?

Es wurde von Kirchenvertretern und Theologinnen und Theologen vielfach bemerkt, dass dieser Rücktritt das Papstamt verändert (vgl. das Dossier beim MFThK). Das ist ohne Frage richtig. Manche halten das für gut, andere für schlecht – je nach Standpunkt. Es überwiegt in der Berichterstattung eher der Respekt für den Schritt, der als Respekt vor Benedikt XVI. zum Ausdruck gebracht wird – bei gleichzeitiger genereller Distanz zur Katholischen Kirche.

Inwieweit die Veränderung des Papstamtes den Medienumgang mit der Katholischen Kirche und dem Papst verändern wird, lässt sich kaum vorhersagen, nur vermuten. Der allgemeine Medienumgang mit der katholischen Kirche ist sowieso geprägt von einer kritischen Grundhaltung und der Papst wird ja bisher keinesfalls als unangreifbar behandelt oder medial mit Samthandschuhen angefasst. Diese Grundhaltung wird, so glaube ich, durch Benedikts Rücktritt weder verstärkt noch gemindert werden.

Allerdings – und das wird interessant zu beobachten sein – könnte sich der Umgang der kirchlichen und kirchennahen Medien mit dem Papst ändern. Wenn sich das Papstamt ändert, es sich als weniger mystisch und sakral begreift, wird die sachliche Auseinandersetzung mit den Aufgaben des Papstes hoffentlich leichter. Stark konservativ ausgerichtete kirchennahe Medien (gloria.tv oder kath.net) werden an ein solches Papstbild jedenfalls kaum Anschluss finden. Eine sachliche Berichterstattung und Kirchenkritik durch die kirchlichen Medien, ohne falschen Respekt vor der übermenschlichen Größe des Amtes, die an einer guten und gerechten Gestalt von Kirche interessiert ist – das würde ich mir von der christlichen Medienwelt weiterhin und verstärkt wünschen.

Dass der Papst ohne Weiteres zurücktreten kann, dies eine reale und ergreifbare Möglichkeit darstellt, wird von den Medien nicht vergessen und wird bei entsprechendem Anlass sicherlich hervorgeholt werden. Einen neuen und andersartigen Kampagnen-Journalismus gegen den Papst oder die Katholische Kirche wird der Rücktritt und die Veränderung des Papstamtes aber kaum befördern.

Quellen/Hinweise

Als Quelle habe ich vor allem das „Altpapier“ vom 13.2.2013 und vom 12.2.2013 benutzt. Der Text ist veranlasst worden durch eine Anfrage der Pressestelle der Universität Münster, die dafür auch einige Fragen formuliert hat, an denen ich mich orientiert habe. Die daraus entstandene Pressemeldung vom 12.3.2013 umfasst zwei Absätze. Hier in diesem Posting sind die dort aufgeführten Zitate in ihrem ursprünglichen Kontext nachzulesen.

Medienethik beim Petersburger Dialog 2012

Am Mittwoch reise ich nach Moskau zum 12. Petersburger Dialog. Der Petersburger Dialog (offizielle Website, Wikipedia-Eintrag) ist ein Gesprächsforum mit dem Ziel, eine zivilgesellschaftliche Verständigung zwischen Deutschland und Russland zu fördern. Er wurde beispielsweise beschrieben als „das Hochamt der deutsch-russischen Beziehungen“So Winfried Weithofer in der Waiblinger Kreiszeitung vom 5.11.2012, S. 2..

Das Dach-Thema des diesjährigen Treffens ist „Russland und Deutschland: Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“. Schirmherrin und Schirmherr sind Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin. Beide werden beim Abschlussplenum am Freitag im Kreml (16.11.2012) anwesend sein.

Es gibt beim Petersburger Dialog eine Reihe von Arbeitskreisen, darunter auch den Arbeitskreis „Kirchen in Europa“. Ich bin als Experte dieses Arbeitskreises eingeladen. Ausgewählt hat man mich, weil ich Berater der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz bin und am medienethischen Impulspapier der Kommission mitgeschrieben habe.

Thema des Arbeitskreises ist „Der Mensch zwischen virtueller Welt und Realität. Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft“. So lautet auch der Titel meines Impulsvortrags. Ich konzentriere mich in meinem Vortrag auf eine christlich-ethische Beurteilung der digitalisierten Informationsgesellschaft. In meinem Vortrag versuche ich auf drei Fragen eine Antwort zu geben:

  • Wie können wir das veränderte Leben in der digitalen Gesellschaft bewerten?
  • Wir können wir eine spezifisch christliche-ethische Beurteilung vornehmen?
  • Welche Folgen hat eigentlich der neue Modus von Vergesellschaftung, sozialer Kommunikation und Gemeinschaftsbildung für die Kirche?

Hier ein Auszug aus meinem Vortrag, der das ethische Kriterium der Beteiligungsgerechtigkeit einführt:

„Auf der politischen Ebene der Gestaltung des sozialen menschlichen Zusammenlebens geht es um Gerechtigkeitskriterien […]. Dabei wird die Beteiligung in und an dem zivilgesellschaftlichen Lebensraum Internet zur Frage gerechter Beteiligung. Das Kriterium gerechter Beteiligung verfolgt im Kern die Sicherung individueller Autonomie angesichts der generellen Problematik von Vergesellschaftungsprozessen. Zugehörigkeit zum und Beteiligung im Lebensraum Internet ist mehr und mehr die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, und in diesem Sinne sind Kommunikationschancen immer auch Lebenschancen. Beteiligungsgerechtigkeit zielt auf die Überwindung von sozialer Ausgrenzung, mangelndem Anschluss und Mitbestimmung, Machtlosigkeit/Ohnmacht, Vereinsamung, Exklusion, Fremdbestimmung, Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit durch eine gesellschaftsstrukturelle Veränderung und ist in dieser Perspektive im Kern gesellschaftskritisch.“

Internetethik in Russland?

Dass der Petersburger Dialog zum Thema „Informationsgesellschaft“ stattfindet und in Russland gerade ein „Gesetz zum Sperren von Webseiten mit schädlichen Inhalten für Kinder“ in Kraft getreten ist, das eine Internetzensur mindestens ermöglicht (das deutsche „Zugangserschwerungsgesetz“ lässt grüßen, vgl. kritisch dazu netzpolitik.org), verleiht dem Treffen natürlich eine brisante Dynamik. Hinzu kommt, dass der Petersburger Dialog seit einigen Jahren in der Kritik steht. Und aktuell hat sich der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), kritisch über das „System Putin“ zu Wort gemeldet. Das Verfahren gegen Pussy Riot, repressive Tendenzen im Umgang mit Oppositionellen oder Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch das neue Demonstrationsrecht wurden von ihm kritisiert: „Hinter all dem steht eindeutig die Absicht, Kritik und organisierte Opposition zu unterbinden“ (Quelle). Von russischer Seite hat das eine entsprechende Reaktion hervorgerufen. Der Beitrag der Deutschen Welle dazu sieht den Petersburger Dialog als gefährdet an. Der Bundestag hat am vorigen Freitag eine Entschließung verabschiedet, in der es heißt:

„Mit besonderer Sorge stellt der Bundestag fest, dass in Russland seit dem erneuten Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin gesetzgeberische und juristische Maßnahmen ergriffen wurden, die in ihrer Gesamtheit auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen, kritisches Engagement zunehmend kriminalisieren und einen konfrontativen Kurs gegenüber Regierungskritikern bedeuten.“ (Quelle)

Das sind also die Vorzeichen… Ich bin sehr gespannt, wie das Treffen verläuft (Tagungshotel ist das ehemalige Hotel Ukraina, eine von Stalins Sieben Schwestern) und erhoffe mir (trotz der Irritationen und der Missstände) einen echten Austausch nicht nur in der AG Kirche. Und: Ich versuche zu twittern (http://twitter.com/afilipovic)!

Erzbischof Celli zu Kirche in den Social Media

Claudio M. Celli, Präsident des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel, hat auf der 13. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (7. – 28. Oktober 2012) über die Bedeutung der sozialen Netzwerke für die kirchliche Kommunikation gesprochen.

Es handelt sich meines Erachtens um einen bemerkenswerten Text, vor allem weil er erstens die „digitale Arena“ als echten (und nicht degenerativen) Lebensraum vor allem jüngerer Menschen begreift, und zweitens eine Veränderung des eigenen kirchlichen Kommunikationsstils anmahnt, der deutlich über eine bloße Veränderung der Kommunikationsstrategie hinausgeht. Zitat:

„Wir müssen anerkennen, dass die digitale Arena heute die Realität vieler Menschen ist, in der sie leben, am deutlichsten in der westlichen Welt, aber auch zunehmend unter den Jugendlichen der Entwicklungsländer. Wir dürfen sie nicht mehr als „virtuellen“ Raum betrachten, der irgendwie weniger wichtiger wäre als der „reale“. Wenn die Kirche in diesem Raum nicht gegenwärtig ist, wenn die Gute Nachricht nicht auch „digital“ verkündet wird, laufen wir Gefahr, viele Menschen zu verlieren, für die das die Welt ist, in der sie „leben“: hier ist das Forum, auf dem sie ihre Informationen und Nachrichten beziehen, ihre Meinungen bilden und zum Ausdruck bringen, sich in Debatten engagieren, in Dialog treten und nach Antworten auf ihre Fragen suchen. Die Kirche ist schon gegenwärtig im digitalen Raum, aber die nächste Herausforderung ist jene, unseren Kommunikationsstil zu verändern, um diese Gegenwart wirksam werden zu lassen.

[…]

[D]ie neuen Medien sind wirklich eine offene Welt, frei, „auf Augenhöhe“, sie anerkennen oder privilegieren nicht automatisch Beiträge von etablierten Autoritäten oder Institutionen. In einem solchen Umfeld ist Autorität kein Recht sondern muss verdient werden. Das bedeutet, dass die kirchliche Hierarchie genauso wie die politische und gesellschaftliche neue Formen finden muss, um ihre eigene Kommunikation zu erarbeiten, damit ihr Beitrag in diesem Forum die angemessene Aufmerksamkeit erhält.“

Der nicht nur kirchenpublizistisch und medienethisch, sondern auch sozialethisch interessante Text ist auf den Seiten des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel hier veröffentlicht. Das Zitat stammt aus dieser privaten Übersetzung.

[via Clearingstelle Medienkompetenz der DBK; auch „Kirche 2.0“ setzt sich hier mit dem Text auseinander]

Zur Medienethik der neuen Mohammed-Karikaturen

War die Veröffentlichung der neuen Mohammed-Karikaturen moralisch in Ordnung? Zu den medienethischen Dimensionen der neuen Mohammed-Karikaturen der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ sind zunächst die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit zu betonen. Diese Freiheitsrechte sind abgeleitet von der Meinungsfreiheit (bspw. kodifiziert in den Menschenrechten). Die Meinungsfreiheit (mit ihren Realisationsformen) wurde historisch gesehen hart erkämpft und stellt eine fundamentale Norm für die moderne Demokratie und liberal-pluralistische Gesellschaften dar, in denen alle Stimmen gehört und in denen politische Konzepte, Ideen und Vorschläge öffentlich diskutiert werden müssen. Natürlich kollidiert fast jedes Freiheitsrecht mit einem anderen Freiheitsrecht bzw. erfährt von einem anderen Freiheitsrecht her seine Einschränkung. Für diesen Fall sind hier das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit einschlägig.

Zwar beziehen sich die Befürworter der Publikation der Karikaturen auf die Meinungsfreiheit, aber man wird den Eindruck nicht los, dass es ihnen gar nicht um dieses Recht und die gute Praxis innerhalb dieses Rechtsrahmens geht, sondern um die Provokation. Gegen einen gedachten oder tatsächlichen Fundamentalismus, sei es einen religiösen oder einen anderen, vorzugehen, gelingt sicher nicht mit einer Provokation. Wenn man tatsächlich für Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit argumentieren möchte, dann doch eher mit Fingerspitzengefühl und Vorsicht.

Es ist also die Attitüde, die stört: In Form eines Experimentes wird Strom an ein Erregungspotential gelegt (und Chefredakteure sind offenbar heute vor allem dann gute Chefredakteure, wenn sie Erregungspotentiale erkennen und damit spielen können, denn ohne diese Fähigkeit kann man da kein Geld verdienen…). Es geht ja einfach: Mohammed-Karikatur produzieren, veröffentlichen, Arme verschränken und zurücklehnen und einen Ich-hab’s-ja-gewusst-Gesichtsausdruck auflegen, wenn die Provokation (wie ja zu erwarten war) gelingt und dann, zuletzt, die Proteste als Angriff auf die Pressefreiheit als den heiligen Gral westlicher Gesellschaften interpretieren – das ist das Manöver und es ist so durchsichtig wie erfolgreich.

Medienethisch ist hier die Antwort zu geben, dass Pressefreiheit natürlich nur einen Freiheitsrahmen vorgibt, der in der konkreten Praxis ausgestaltet werden muss. Und dabei spielt verantwortlicher Respekt vor den religiösen Überzeugungen Anderer eine wichtige Rolle. Diesen moralisch geforderten Respekt mit Absicht fallenzulassen, um eine Debatte über Meinungsfreiheit oder Fundamentalismus zu provozieren, die so nicht gelingen kann, ist medienethisch zu kritisieren.

Literatur (aus einer Fülle):

  • Debatin, Bernhard (2006): Die Grenzen der Pressefreiheit? Der Karikaturenstreit als inszenierte Farce. In: Publizistik 51 (2).
  • Debatin, Bernhard (2007): Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit. Wert- und Normenkonflikte in der globalen Medienkultur = The cartoon debate and the freedom of the press. Berlin: Lit Verl (Kultur und Technik, 4).

Hinweis/Disclosure: Die Zeilen sind angeregt durch eine Interviewanfrage von Radio Vatikan (Interview am 21.09.2012, 11 Uhr, Update 13:34: Hier ist das Interview). Profitiert habe ich von einem Gespräch mit meinem Freund und Kollegen Daniel Bogner, der die Strom-Metapher eingebracht hat.

Eine Bühne für den Attentäter? Die Rolle der Medien im Fall Breivik

Es ist wieder Zeit für die Medienethik: Schon vor Prozessauftakt erreichten mich Anfragen zur Rolle der Medien im Prozess um den Attentäter Anders Behring Breivik. Die Ungeheuerlichkeit der Tat und die Öffnung des Prozesses für die Öffentlichkeit einschließlich einer (regulierten) Möglichkeit von Foto- und Videoaufnahmen haben dazu geführt, dass sich Journalisten aus aller Welt in großer Zahl akkreditiert haben und den Prozess vor Ort begleiten. Breiviks Aussagen „Terror ist Theater“ (Quelle) und dass mit seiner Verhandlung die „Phase der Propaganda“ beginne (Quelle), führten unweigerlich zu der Frage, wie man die Berichterstattung angehen soll. Wie sollte man berichten, ohne dass man das Ziel Breiviks, eine Bühne für seine Ideologie zu bekommen, zu befördern? Ein echtes Dilemma.

Über die Frage, ob man möglichst wenig oder ohne Einschränkungen berichten soll, lässt sich daher trefflich streiten. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mahnt in einer Presseerklärung eine vorsichtige Berichterstattung an:

DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken: „Journalisten dürfen sich nicht zu Breiviks unfreiwilligen Helfern machen lassen.“ Der Beschuldigte habe es darauf angelegt, den Strafprozess als Medienspektakel zu missbrauchen. Journalisten dürften ihm nicht auf den Leim gehen. (Quelle, via)

Dagegen meint Nils Minkma in der FAZ:

Auch in so einem Fall bleiben wir bei unseren Regeln und Gesetzen. Wäre ja noch schöner, wenn man Breivik zuliebe den Grundsatz der Öffentlichkeit von Strafverfahren hintergehen würde und ihm, in einer durch und durch abgebildeten Welt, den Sonderstatus eines Mannes ohne Gesicht zubilligte […]. Eine klare und schonungslose Berichterstattung in Wort und Bild, die Präzision darin, das ist die wirksamste Waffe der Medien, ihre vornehmste Aufgabe und im Übrigen auch ihr Job. (Quelle)

Wie wird berichtet? Vor allem der Boulevard zeigt zum Prozessauftakt, das war abzusehen, Breiviks Gesicht in Großaufnahme und/oder seinen offenbar rechtsradikalen Gruß. Der Gesichtsausdruck des Menschen, der beschrieben wird als smart, berechnend und eiskalt, steht für das Monströse der Tat. Einige Zeitungen arbeiten ohne Bild, oder gar ohne Bericht auf der Titelseite. Wie der andere versuchen, in der Bildauswahl den Prozess zu dokumentieren, ohne die Inszenierungsgesten von Breivik zu zeigen.

Die Tagesthemen am 16. April haben einen guten Bericht über die Berichterstattung (medienwissenschaftliche O-Töne von Norbert Bolz und Steffen Burkhard), informieren aber ansonsten ohne besondere Einschränkungen, zeigen also zum Beispiel den angesprochenen Gruß (bei 1 Minute 56), kommentieren dies aber entsprechend. Der nachgereichte Metabeitrag zum Mediengeschehen um den Prozessauftakt wirkt da seltsam. Sehr viel gelungener die gleich in der Anmoderation erfolgte Reflexion im Heute Journal (vom 16. April, via Matthias Rath) von Klaus Kleber und die begründete Entscheidung, warum die Inszenierungsgesten nicht gezeigt werden.

Kolleginnen und Kollegen aus der Medienethik haben sich zur Medienberichterstattung im Prozess um Breivik geäußert; bekannt ist mir beispielsweise das Interview von Christian Schicha. Ich durfte Gast im WDR5 Tagesgespräch am 18.04.2012 sein (hier zum Nachhören; ab 4:30 Minuten bin ich dann dran). Ausgangspunkt war ein dpa-Interview am Dienstag, 17.4.2012. Radio Vatikan (deutsches Programm) hat auch angerufen (Sendung Freitag, den 20.04. um 18 Uhr).