Forschungen über das Verhältnis von Blogs und Journalismus

Die verstreuten Forschungen über das Verhältnis von Weblogs und Journalismus hat Dominik Schneider bei Sinnmacher veröffentlicht. Nach einer ausführlichen Auswertung verschiedener Studien kann er zusammenfassen:

Weblogs und der traditionelle Journalismus stehen in einer Wechselbeziehung, die durch Induktionen und Adaptionen gekennzeichnet ist: Weblogs und Journalismus sind komplementär! Im Gegensatz zur Beziehung von PR und Journalismus (Intereffikation/Interdependenz), bedingen sich Weblogs und Journalismus gegenseitig nicht.

Webmontag für Franken

Florian Bailey hat mich auf den „Webworgerdable, den Webmontag für Franken“ aufmerksam gemacht. Vielleicht gehe ich da sogar mal hin.

Tagungsrückblick „das neue netz“

Ende letzter Woche konnte ich die Hälfte der Tagung „das neue netz? Bestandsaufnahme & Perspektiven“ besuchen (und die Ergebnisse von Slot I, Slot II und Slot III kurz wiedergeben). Die Vorträge und Diskussionen fand ich sehr anregend, die Atmosphäre für eine wissenschaftliche Tagung einmalig: viele junge Leute, sehr offen und gesprächig. Über die inhaltlichen Anregungen für mein Projekt „Sozialethik und Web 2.0“ muss ich mir noch Gedanken machen. Interessant erscheinen mir in einem ersten kurzen Nachdenken die Fragen:

  • Hat das Web 2.0 eine Integrationsfunktion für die Gesellschaft?
  • Vergrößern das Web 2.0 als „Partizipationsarchitektur“ die Teilhabechancen an gesellschaftlichen Ressourcen (kulturell, soziale, wirtschaftliche…)?
  • Welche Anthropologie hat die Web 2.0-Forschung und welche Rolle spiel dabei „Körper/Leib“?
  • Welche Rolle spielt das Verhältnis von „self-disclosure“ und “Need for privacy” für die zivigesellschaftliche Bedeutung des Mitmach-Webs?
  • Wie ist es um die Bedeutung der Vertrautheit mit dem Web 2.0 bestellt und in welcher Relation steht damit das Vertrauen im Web 2.0? Kann Vertrauen hier als kognitive Modalisierung einer Erwartungshaltung bestimmt werden oder handelt es sich um normative Formen?Gedanken zur Bedeutung des Vertrauens in der „Wissensgesellschaft“ habe ich schon einmal hier veröffentlicht: Filipović, Alexander: Notwendige Vorurteile? Vertrauen in der Wissensgesellschaft. Aus: Filipović, Alexander; Kunze, Axel Bernd (Hrsg.): Wissensgesellschaft. Herausforderungen für die Christliche Sozialethik. Münster (Lit) 2003 (= Bamberger Theologisches Forum. 6), S. 47-56. Damals habe ich vor allem Luhmanns Vertrauens-Konzeption und Heidenreichs Wissensgesellschafts-Verständnis herangezogen. Kann man hinsichtlich des Vertrauens im Web 2.0 noch von Vertrauen als „eine der wichtigsten synthetischen Kräfte“Simmel, Georg [1908] (1968): Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. 5. Aufl. Berlin (= Gesammelte Werke. 2.), 263. sprechen?
  • Welche Möglichkeiten gibt es, das im Netz Unsichtbare (weil nicht verlinkt, nicht zitiert), aber obgleich Relevante (Alltagserfahrungen von Marginalisierten usw.) sichtbar zu machen?
  • Welche Argumente gibt es eigentlich, warum ein Informationsbedürfnis nicht mit einem Konsumbedürfnis gleichgesetzt werden darf? Worin liegt die andere Qualität eines Informationsbedürfnisses gegenüber einem Konsumbedürfnis?

Weitere Informationen zu der Tagung:

Weitere Beiträge bei Technorati und Fotos bei Flickr.

Disclaimer: Dieser Artikel steht im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Social Software and Social Ethics„, das am Lehrstuhl Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Uni Bamberg (Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins) unter meiner Leitung durchgeführt wird. Vgl. die Einträge in diesem Blog zum Forschungsprojekt unter dem Stichwort „SocSoftEthics

Tagung „das neue netz“ III

Zu den Vorträgen im Slot 3.
Tina Guenther spricht über die Frage, ob die Problematik des Vertrauens im Netz relevant ist. Sie unterscheidet drei Bereiche: Märkte, Wissenserstellung und -management und schließlich Identitätsmanagement. Sie führt zunächst einige Voraussetzungen auf, die gegeben sein müssen, damit Vertrauen entsteht: actors, expectations, vulnerability, uncertainty, agency und embededness. Leitend ist dabei, dass Vertrauen als soziale Beziehung angesehen wird. Sie geht alle drei Bereiche durch und testet, ob diese Voraussetzungen gegeben sind. Vertrauen erscheint damit als extrem voraussetzungsvoller Begriff. Im nächsten Schritt führt sie für die drei Bereiche wiederum sechs Elemente auf, die Vertrauen online konstituieren bzw. etablieren. Das sind: Gründe (Nutzen und Signale), Routinen des Vetrauens (z.B. Evaluationssysteme), Reflexivität im Sinne von Erfahrung und Lernen, suspension und „Sprung des Glaubens“ (positive Vorwegnahme von Erwartungen), Experiencing (Gefühle) und schließlich enacting (Vetrauen möglich machen durch Vertrauen).

In der nachfolgenden Präsentation stellt Klaus Stein (mit Claudia Hess) Überlegungen zum Thema „Suchen und Bewerten – Sichtbarkeit auf Dokumenten- und Vertrauensnetzwerken“ vor. Leitend ist dabei die Perspektive der Informatik. Entscheidende Schwierigkeit von Suchmaschinen ist der Informationsüberfluss. (Dokumenten-)Sichtbarkeit erscheint dabei als entscheidender Faktor der Bewertung, wobei die Schwierigkeit darin besteht, dass man nicht weiß, warum ein Link gesetzt wird. Dafür werden Netzwerke von Personen herangezogen, die anhand von Vertrauen und Reputation untersucht werden und es entstehen Autoren-Dokumenten-Netzwerke. Mit diesem Ansatz kommen Suchmaschinen zu besseren Ergebnissen („Sichtbarkeitsberechnung“ als Empfehlungen).

Der dritte Vortrag schließt thematisch an: Theo Röhle spricht über „Suche 2.0: Social Search zwischen Werbung und Information“. Er startet mit der Frage, warum Suchmaschinenanbieter die Intentionen von Nutzern verstehen wollen: Zur Werbung (Suchmaschinen-Marketing) oder zur Verbesserung der Suchmaschinenergebnisse? Seine antwort auf die Frage: Was ist „social search“? „Social Search tools are internet wayfinding services informed by human judgement“ (Chris Sherman). Theo fokussiert im Folgenden auf „personalized verticals“ – Suchmaschinen, die von einzelnen zu bestimmten Themen „gebaut“ werden können. Dafür stehen diverse Dienste bereit („swicki“). Seine Betrachtungen laufen auf eine Untersuchung des Suchmaschinenmarketings hinaus. Das Marketing identifiziert Informationsbedürfnis mit Konsumbedürfnis. Letzte Entwicklungen in diesem Bereich stellen das behavior targeting dar. Social Search sieht er mit einer Tendenz der Umdeutung von Informationsbedürfnissen in Konsumtionsbedürfnisse.

[tag: dnn2007]

Tagung „das neue netz“ II

Weiter geht es im „Slot 2“.
Lars Alberth spricht über „Körper und Selbst“ im Web 2.0. Verwundert zeigt er sich darüber, dass der Körper nicht in der Web 2.0-Forschung vorkommt. Für „Praxis“ sei dagegen immmer „Köper“ notwendig (Anselm Strauss). Als „gesellschaftstheoretische Annahme“ sieht er Netzwerkgesellschaft als Kontrollgesellschaft und mit Gramsci die Blogger als „organische Intellektuelle“.
„Techniken des Selbst“ haben mit Foucault eine ethische Relevanz. Als Beispiele führt er Websites an, auf denen Körperlichkeit im Mittelpunkt steht – Körperlichkeit aber weniger als sinnliche Körperlichkeit, sondern eher im Umfeld von Effizienz-Fragen (wettkampffähiger Körper).
Er führt als Kategorie „trajectories“ („Flugbahnen des Selbst“) ein, die den Entwurfscharakter der Körperthematisierung betonen. Fazit: Körper sind ein Thema von Weblogs und Weblogs sind darüber hinaus „originäre Medien von Selbst und Körper im Web 2.0“.

Leonard Reinecke spricht danach über „Privatsphäre 2.0“. Zunächst thematisiert er Konstrukte des Zusammenhangs von Web 2.0-Nutzung und Freigabe von persönlichen Daten (Affinität zum Web 2.0; Motive der Web 2.0 Nutzung). Gratifikationen der Web 2.0 Nutzung sind mit self-disclosure verbunden. Gleichzeit spielt aber auch „Need for privacy“ eine Rolle. Vermutlich sei also das Web 2.0 für Menschen mit einem geringeren „Need for privacy“ attraktiver. Als Konzept für die Werteunterschiede von Web 2.0 Nutzern zieht er den allgemeinen Wertekanon von Schwartz heran, der 10 universelle Wertetypen vorstellt. Als Forschungsfrage wird dann formuliert, ob sich der Wertekanon von Nutzern mit einer hohen Affinität zum Web 2.0 von dem Wertekanon unterscheidet, die eine geringere Affinität haben.

Einige Ergebnisse der empirischen Untersuchung: Produzenten von User-Generated-Content haben eine hohe Bereitschaft zur self-disclosure, wogegen Web 2.0 affine Nutzer sich in ihrem „Need for privacy“ nicht von weniger affinen unterscheiden. Web 2.0 Produzenten zeigen eine höhere Community-Orientierung und Offenheit für Innovationen. Abstinenzler zeigen ein größeres Sicherheitsbedürfnis.

Sein Fazit zum Thema Web 2.0 und Privatsphäre: Web 2.0 ist trotz einer größeren Bereitschaft der Preisgabe von privaten Informationen „kein Raum des grenzenlosen Exhibitionismus“.

[tag: dnn2007]

Tagung „das neue netz“ I

Gerade beginnt die Tagung „das neue netz“. Ich versuche wieder das Live-Blogging- weniger als Verlaufs- denn als Ergebnis- „Protokoll“.
Nach Begrüßung durch Florian Meyer und Grußwort durch Prof. Dr. Stöber beginnt im Slot 1 Jan Schmidt mit der „kurzen Geschichte des Web 2.0“. Er stellt diverse Visualisierungen des Web 2.0 vor (Collagen von Logos, Tag-Cloud von O’Reilly und die Landkarte des Web 2.0). Ihre Nachteile liegen in einer gewissen Statik, die die Prozesshaftigkeit des Phänomens und die Vorläufer des neuen Netzes nicht berücksichtigen. In diesem Sinne besser ist die Abbildung „The Rise of Citizen Media“ und ein Vorschlag, den Jan selber anbringt. Damit betont er die Kontinuität der Internetentwicklung und der damit zusammenhängenden Praktiken („inkrementeller Wandel“) statt eines revolutionären Bruches, der mit dem Start des Web 2.0 augenscheinlich angefangen habe.
Entscheidend ist dann die Analyse dieser Praktiken, womit dann ein bestimmter praxistheoretischer Ansatz als analytischer Rahmen verbunden ist. Mitberücksichtigt werden dabei Praktiken, die über das Netz „zeitlich wie ‚räumlich‘ “ hinausreichen. Das neuen Netz reicht also in das „echte Leben“ hinein. Jan formuliert die These, dass dieser Umstand gerade ein Kennzeichen des neuen Netzes ist. Damit sind die Voraussetzungen dargelegt, mit denen Jan seine trinitarische Analytik von Identitäts-, Beziehungs- und Wissensmanagement als Funktionen des neuen Netzes erläutert.
Folgen der Nutzungspraktiken bauen nicht nur auf Erfahrungen von außerhalb auf, sondern ihre Folgen reichen auch darüber hinaus: Etwa könnte die Zunahme von „Produsage“ auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Wissensordnung hinauslaufen oder Machtverhältnisse neu sortieren.

Der nächste Vortrag von Kolleginnen und Kollegen (alle drei in schwarz-weiß…) von der Uni Hohenheim stellt den Mediennutzer in den Fokus. Zunächst stellt Monika Taddicken sie charakteristische „Wesensmerkmale“ des Web 2.0 vor: zentrale Plattform, vereinfachter Zugang, teil-öffentlich, nicht-flüchtig, Strukturierung durch Gemeinschaft (z.B. gemeinsames Tagging), Interaktivität und Vergemeinschaft. Zusammenfassend: „architecture of participation“ (O’Reilly), „Produsage“ und neuen Formen von Vergesellschaftung. Web 2.0 wird als „soziale Innovation“ verstanden, etwa durch „neue Teilhabemöglichkeit“. Systematisch unterscheiden sie nach Mikro-, Meso- und Makroebene und darin jeweils nach Ursachen und Wirkungen. Im Rahmen dieses Rasters kommt zunächst der Uses-and-Gratifications-Approach, dessen Grundannahme ein aktiver Rezipient ist, in der Vorstellung durch Anke Tschoerner zum Zuge. Dann verortet Ljewin Scheiko das Meinungsführer-Konzept in dem Raster. Dieser Ansatz geht davon aus, dass persönliche Kontakte als einflussreichste Informationsquelle angesehen werden und überträgt diesen Ansatz auf eine virtuelle Meinungsführerschaft durch Medien, Internet und Web 2.0. Gerade das Web 2.0 „bietet Meinungsführern eine hervorragende (globale!) Plattform“, womit natürlich Machtfragen verbunden sind.

[tag: dnn2007]

Zeitunglesen im Web 2.0

Interessant finde ich die Begründung der New York Times, warum sie künftig Ihre Inhalte gratis zur Verfügung stellt (via Wortfeld): Der moderne Leser liefert sich nicht mehr einer Zeitung(sredaktion) aus, um informiert und angeregt zu werden. Der Leser wird in Zeiten des neuen Netzes (Stichwort Web 2.0 bzw. social media und social software) über Suche, Blogs und Social Networks auf bestimmte Inhalte aufmerksam. Die New York Times reagiert also auf den Umstieg vom Push- zum Pull-Prinzip massenmedialer Kommunikation (den ich als generelle Herausforderung einer „Medienethik 2.0“ versteheVgl. Filipović, Alexander (2007): Neue Medienkompetenz und Beteiligungsgerechtigkeit. Herausforderungen für die Medien- und Kommunikationsethik. In: Communicatio Socialis, Jg. 37, H. 3, S. 233-245, hier: 238-243.) und auf das social web durch eine Erleichterung des Zugangs zu ihren Inhalten. Medienrezeption ist eine soziale AngelegenheitWer da tiefer einsteigen möchte findet hier unter Umständen weitere Hinweise: Filipović, Alexander (2007): Öffentliche Kommunikation in der Wissensgesellschaft. Sozialethische Analysen. Bielefeld (W. Bertelsmann Verlag) 2007 (Forum Bildungsethik. 2), S. 109-111. – das wird im Web 2.0 immer deutlicher.

Disclaimer: Dieser Artikel steht im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Social Software and Social Ethics„, das am Lehrstuhl Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Uni Bamberg (Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins) unter meiner Leitung durchgeführt wird. Vgl. die Einträge in diesem Blog zum Forschungsprojekt unter dem Stichwort „SocSoftEthics

Web 2.0 around the world

In den aktuellen Politik- und Kultur-Magazinen ist Web 2.0 dreimal Thema. In „The Atlantic“ schreibt Michael HirschornAbout Facebook„. Für ihn ist „Web 2.0“ zwar ein Hype, aber Facebook ist DIE Ausnahme:

At the moment, Facebook is the site that, in my experience, comes closest to fulfilling the promise of social media. In so doing, it raises some bigger questions about how we’re going to be using the Web in the future and whether some of the received wisdom about the Internet—that we’re headed inexorably toward a digital universe of chaotic, endlessly shifting interactivity—is true.(Quelle)

Unter anderem betont er die vielen Möglichkeiten, persönliche Daten sehr variabel freizugeben. Quasi unter der Hand wird eine recht gelungene Umschreibung des Begriffs social media geliefert:

The catchall term social media encompasses Web applications that allow individuals to create their own pages—filled with postings, photos, video, and portable applications generally called “widgets”—and interact with other users. The theory is that these networks will create a virtual environment in which like-minded people can find one another. In practice, as with Goldi­locks and the porridge, the gruel tends to be too hot or too cold. […] Facebook is getting the temperature just right, and in the process has been able to give social media real social capital.“ (Quelle)

The Economist“ berichtet über den Web 2.0-Boom in China und führt als Beispiel den Facebook-Clon XIAONEI.COM an.

Und schließlich rechnet in „The Times Literary Supplement“ Paul Duguid Paul Duguid ist Visiting Professor an der School of Information and Management Systems (University of California, Berkeley). Vgl. auch das Buch Brown, John Seely; Duguid, Paul (2000): The social life of information. Boston, Mass.: Harvard Business School Press. mit dem Buch „The Cult of the Amateur. How today’s internet is killing our culture“ von Andrew Keen ab (hier). Keen vertritt die These, dass die Forderung nach einer Demokratisierung der Medien einen Angriff auf unsere Ökonomie, unsere Werte und unsere Art zu Leben darstellt. Der Rezensent dagegen schätzt die Idee der Demokratisierung der Lebensbereiche. Duguid weiß auch, warum der Autor zu seiner demokratiekritischen Einstellung kommt:

„Perhaps only an expatriate Englishman, as Keen is, could launch so unapologetic an attack on “democratization” in America, where many accept that if democracy is good, then more democracy is better.“ (Quelle)

Quelle der Auswahl: „Magazinrundschau“ des „Perlentauchers“.

Disclaimer: Dieser Artikel steht im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt „Social Software and Social Ethics„, das am Lehrstuhl Christliche Soziallehre und Allgemeine Religionssoziologie an der Uni Bamberg (Prof. Dr. Marianne Heimbach-Steins) unter meiner Leitung durchgeführt wird. Vgl. die Einträge in diesem Blog zum Forschungsprojekt unter dem Stichwort „SocSoftEthics

Ethik 2.0 für das Web 2.0?

Heute bin ich hier (via onlinejournalismus.de) auf den Ausdruck „Ethik 2.0“ gestoßen. Eine zu euphorische Verwendung des Ausdrucks Web 2.0 ist ja sicherlich problematisch. Wie verhält es sich aber mit dem Ausdruck „Ethik 2.0“? Ist Ethik nicht etwas, das keines Updates bedarf, bzw. sogar gegen Updates geschützt werden müsste? Um einer Antwort auf die Spur zu kommen, muss etwas weiter ausgeholt werden:

Ethik ist eine besondere Denkform, nämlich eine reflektierende, eine nachdenkende, eine theoretische Denkform. Ethik ist eine Theorie der Moral.Es gibt natürlich noch andere Ethikverständnisse. Das hier Vorausgesetzte ist aber wohl am verbreitetsten. Moral tritt als der Gegenstand von Ethik auf. Ethik wird notwendig, wenn die Moral selber strittig wird, wenn es also nicht von alleine klar ist, was verbindlich ist, was ein Gut oder ein Wert sein soll und was in Bezug auf Gerechtigkeit und gutes Leben gelten soll. Insofern ist Ethik „Nachdenklichkeit über strittige Moral“, wie das Dietmar Mieth formuliert hat.Mieth, Dietmar (2004): Kleine Ethikschule. Freiburg, Basel, Wien: Herder, S. 24.

Ethik verändert sich also, wenn Moral sich verändert. Von der Wortbedeutung her ist Moral ungefähr gleichsinnig mit dem Begriff der Sitte. Das verweist auf den Umstand, dass die Unterscheidung von gut und schlecht immer etwas mit dem allgemeinen Verständnis davon zu tun hat, was als gut und was als schlecht anzusehen ist. Die Moral, also das, was als ‚das Sittliche‘ begriffen wird, ist immer in Bewegung, wie die Gesellschaft mit ihren Institutionen und Organisationen auch.

Auf der Ebene universal gültiger moralischer Normen erkennen wir zwar sittliche Regeln, die für alle Situationen und Kontexte gelten (sollen). Moralische Konflikte spielen sich aber zumeist in je spezifischen (Alltags-)Situationen und Kontexten ab. Die Menschen erfahren normative Ansprüche an ihr Kommunizieren und Handeln in spezifischen Situationen; ihnen ist die Gestaltung des Lebens und die Bewältigung dieses Projektes konkret aufgegeben. Diese Situationen und Kontexte gilt es ethisch im Blick zu behalten (sonst würde man den ‚Kontakt‘ zum Gegenstand der Ethik verlieren), ohne dass dabei den Situationen und Kontexten eine moralisch begründende Funktion zuerkannt würde (sonst würde man den Ansprüch nicht aufrecht erhalten können, normativ zu argumentieren).

Die vorliegenden ‚Verhältnisse‘, die Lebensumstände, die gesellschaftliche Situation, die „gelebte Moral“Vgl. Eid, Volker (Hg.) (2004): Christlich gelebte Moral. Theologische und anthropologische Beiträge zur theologischen Ethik. Freiburg, Schweiz: Acadamic Press (Studien zur theologischen Ethik, 104). sind/ist also in ein Verhältnis zu bringen zum Gesollten, zum Wünschenswerten, zum Lebensförderlichen. Man könnte die Bestimmung dieses Verhältnisses (von Sein und Sollen) als das eigentliche ethische Projekt verstehen.Vgl. die Seiten 148-155 aus Filipović, Alexander (2007): Öffentliche Kommunikation in der Wissensgesellschaft. Sozialethische Analysen. Bielefeld: W. Bertelsmann (Forum Bildungsethik, 2) und meinen Vortrag bei der Tagung der Societas Ethica 2007 unter dem Titel „Die Kritik an der Unterscheidung von Sein und Sollen im philosophischen Pragmatismus“ (in Vorbereitung, vgl. die Skizze des Vortrags hier).

Wenn statt individueller Praxis eher die Gestaltung von sozialen Verhältnissen, Institutionen und Organisationen zur Debatte steht (wie etwa bei einer Sozialethik des Web 2.0), dann besteht auch hier die Anforderung, normative Vorstellungen und die damit arbeitende Sozialethik selbst im obigen Sinne veränderlich zu halten. So muss (muss!) die Sozialethik z.B. die spezifischen Bedeutungsgehalte von „sozialer Gerechtigkeit“ neuen sozialen Verhältnissen anpassen.Vgl. die Belege und die eigenen Überlegungen dazu in Filipović, Alexander (2007): Beteiligungsgerechtigkeit als (christlich-)sozialethische Antwort auf Probleme moderner Gesellschaften. In: Eckstein, Christiane; Filipović, Alexander; Oostenryck, Klaus (Hg.): Beteiligung, Inklusion, Integration. Sozialethische Konzepte für die moderne Gesellschaft. Münster, Westf.: Aschendorff (Forum Sozialethik, 5), S. 29–40. Wenn Sozialethik wirksam werden will, dann ist nach einer Reformulierung geerbter normativer Vorstellungen zu suchen. Das hat nichts mit einer affirmativen Einstellung gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun, sondern ist eine zwingende Einstellung einer Sozialethik, die nicht in einer idealen gedanklichen Parallelwelt unwirksam mit dem bloßen Verweis auf überzeitliche „Werte“ vor sich hin philosophieren möchte. Eine Anpassung überlieferter normativer Vorstellungen an gesellschaftliche Kontexte ist vielmehr die Voraussetzung, normativ argumentieren zu können.

Insofern – und hier komme ich zum Ausdruck „Ethik 2.0“ zurück – ist Ethik updatefähig und -bedürftig. Vor allem da, wo sich ganz neue Verhältnisse und Möglichkeiten ergeben (social software, Bürgerjournalismus), ist die Arbeit am nächsten Release von „Ethik“ sinnvoll und notwendig. Klar sein muss aber, dass das nächste Update sofort wieder fällig sein wird.

Forschungsprojekt „Social Software und Social Ethics“ in den Startlöchern

In den kommenden Monaten läuft am Bamberger Lehrstuhl für Christliche Soziallehre ein Forschungsprojekt zur Internetethik an. Gestern ist offenbar mein Antrag auf Förderung durch die Universität Bamberg positiv beschieden worden. Das bedeutet: Es gibt Geld für die Anstellung einer studentischen Hilfskraft für 6 Monate. Der kleine Umfang des Projektes bedeutet natürlich, dass wir nur erste Spuren legen können und sich die Arbeit dann eher als Vorbereitung für ein größeres Projekt eignet.

Worum geht es?

Wikis, Weblogs und Internet-Plattformen wie Xing, StudiVZ, MySpace sind „social software“ in dem Sinne, dass sie „auf ganz eigene Weise öffentliche (weil potenziell netzweit verfügbare) und interpersonale Kommunikation in sozialen Netzwerken unterschiedlicher Reichweite“ Schmidt, Jan (2006): Weblogs als „Social Software“. Online verfügbar unter http://www.politik-digital.de/edemocracy/netzkultur/blogger/ jschmidtWeblogsSocialSoftware060214.shtml. ermöglichen. Das Schlagwort Web 2.0 ist zwar in erster Linie ein in ökonomischen Zusammenhängen gebrauchtes Modewort, macht aber dennoch darauf aufmerksam, dass die Hoffnungen in den Anfangsjahren des Internet auf freie Information, gesteigerte Möglichkeiten der politischen Partizipation und Kommunikation erst jetzt, oder besser: in neuer Weise Wirklichkeit werden. Dabei erscheint besonders bedeutsam, dass diese sozialen Netzwerke offenbar auf Prozesse der Globalisierung reagieren. Mit Bezug auf das Glokalisierungskonzept von Roland Robertson Robertson, Roland (1995): Glocalization: Time-Space and Homogeneity-Heterogeneity. In: Featherstone, Mike (Hg.): Global Modernities. London: Sage (Theory, Culture & Society), S. 25–44. formuliert Danah Boyd:

„Web2.0 is about glocalization, it is about making global information available to local social contexts and giving people the flexibility to find, organize, share and create information in a locally meaningful fashion that is globally accessible. […] Web2.0 is a structural shift in information flow. […] it is about a constantly shifting, multi-directional complex flow of information with the information evolving as it flows. It is about new network structures that emerge out of global and local structures.“ Boyd, Danah (2005): Why Web2.0 Matters: Preparing for Glocalization. Online verfügbar unter http://www.zephoria.org/thoughts/archives/ 2005/09/05/why_web20_matte.html).

Durch diese neuen Netzwerkstrukturen gerät das Verhältnis von partikulären Wertvorstellungen bzw. Entwürfen des guten Lebens und universellen, allgemeingültigen Überzeugungen und Handlungsempfehlungen in ein neues Verhältnis vgl. ebd..

Die Weblogs ihrerseits zeigen, dass durch gemeinsame Schemata, gemeinsame Plattformen und Konventionen und eine starke Selbstreferentialität durch dauernde Bezugnahme auf andere Weblogs so etwas wie ein Sozialraum entsteht. Das Projekt Wikipedia ist im Sinne von Jimmy Wales, des Gründers der Internet-Enzyklopädie, ein sozialethisches Projekt, das eine offene Gesellschaft, eine “global healthy community”, befördern kann. Wikipedia ist damit ein weltweites gemeinsames Aufklärungsprojekt, an dem alle mitarbeiten können und das seinen Wert erst in der gemeinsamen Arbeit herausbildet Vgl. dazu auch die kurzen Notizen zu einem Vortrag von Wales hier in diesem Blog..

Fragestellung und Ziele

Wegen der aktuellen Bedeutsamkeit dieser Entwicklungen sollen Möglichkeiten der sozialethischen und sozialphilosophischen Beschäftigung mit diesem Phänomen gefunden werden. „Social Software“ soll als Gegenstand von Sozialethik rekonstruiert werden. Damit soll es möglich sein, die rasant zunehmende Forschungsliteratur aus den Bereichen Soziologie und Kommunikationswissenschaften in sozialethischer Perspektive zu beleuchten; dies nicht zuletzt mit dem Ziel, der notwendigen empirischen, darstellenden Untersuchungsmethode eine ebenso notwendige normative Reflexion zur Seite zu stellen, die Beteiligungs- und Gerechtigkeitsfragen und andere normative Politikvorstellungen wissenschaftlich verantwortet in die Diskussion einbringt.

Der sozialethische Ansatz mag für die Weblog- und Social Software-Forschung ein wenig ungewohnt sein. Ich bin selber sehr gespannt, welche Möglichkeiten sich hier ergeben und hoffe, dass es zu einem Austausch über die Ergebnisse kommt. Wer Ideen, Fragen und Anregungen hat: Bitte gerne.