Menschengerechte Demokratie. Das neue Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften

Eine schöne Aufgabe meiner Münsteraner Zeit (bis August 2013) war die Schriftleitertätigkeit beim Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften (vgl. auch den Wikipedia-Artikel). Durchaus eine herausfordernde Aufgabe, denn man hat immer zwei umfangreiche Bände in Vorbereitung, Druck oder Planung. In meiner Zeit am ICS in Münster mussten wir das Jahrbuch ziemlich umkrempeln und haben die Chance genutzt, das traditionsreiche Organ für heutige wissenschaftliche Publikationserfordernisse zu gestalten.

Das bedeutete neben der Einführung eines Peer-Review-Verfahrens vor allem, eine Online-Plattform zu schaffen und das Jahrbuch parallel zur Printausgabe auch online zu publizieren. In Zusammenarbeit mit der ULB Münster und mit Förderung durch die DFG ist uns das mit der Publikationssoftware OJS prima gelungen. Nicht nur werden unter www.jcsw.de die laufenden neuen Bände publiziert. Wir konnten auch alle bisher erschienenen Bände seit 1968 digitalisieren und so der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit für Recherchezwecke zur Verfügung stellen. Alles in allem ein zwar sehr zeitintensives, aber lohnendes Projekt.

Das neue Jahrbuch 54 (2013)

Das neue Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften hat den thematischen Schwerpunkt „Demokratie“. Der Band ist dem Münsteraner Sozialethiker und Soziologen Karl Gabriel zum 70. Geburtstag gewidmet.

Zusammen mit Anna Maria Riedl habe ich einen Literaturbericht (peer-reviewed) beigesteuert: Der Text mit dem Titel „Demokratie und Christliche Sozialethik. Demokratie als Thema der deutschsprachigen katholischen Sozialethik nach 1945 – ein Literaturüberblick“ verfolgt das Ziel, einen kritischen Überblick über Texte aus dem Bereich der katholischen Christlichen Sozialethik zum Thema Demokratie zu geben. Startpunkt ist im zweiten Kapitel die Suche der katholischen Kirche nach einem neuen Verhältnis zur Demokratie in der Nachkriegszeit. Im dritten Kapitel werden die christlich-sozialethischen Beiträge bis Mitte der 1960er Jahre behandelt, also bis zu den sozialen Umbrüchen der späten 60er Jahre und bis zu den unmittelbaren Impulsen des II. Vatikanums. Eine weitere Zäsur kann dann mit dem Zerfall des Ostblocks und dem Fall der Berliner Mauer ab Mitte bzw. Ende der 1980er Jahre gesetzt werden (viertes Kapitel). Im abschließenden Ausblick kommt der Text zu dem Ergebnis, dass es an einer expliziten ethisch-theoretischen Auseinandersetzung mit der Demokratie in der Christlichen Sozialethik mangelt.

Neben dem korrespondierenden Text meines Freundes und Kollegen Christian Polke („Protestantische Ethik und Demokratie. Ein deutschsprachiger Literaturbericht seit 1945„) gibt es ein paar weitere Highlights im Band:

Der Band kann über den Buchhandel (ISBN 978-3-402-10986-1    , Aschendorff Verlag) oder direkt beim Verlag bezogen werden. Die Texte werden 12 Monate nach Veröffentlichung dann frei online erreichbar sein (also ab 1.1.2015).

Eine Recherche, die zu einem Freitod führte – Medienethische Aspekte einer tragischen Geschichte

Screenshot von http://grantland.com/features/a-mysterious-physicist-golf-club-dr-v/

Es begann mit einer Recherche zum Geheimnis eines „magischen“ Golfschlägers und endete mit dem Freitod der Protagonistin der Reportage. Was ist die Geschichte dahinter und wie lässt sich medienethisch darauf reagieren? Den Fall hat jetzt Hakan Tanriverdi für das Magazin „journalist“ aufgeschrieben.

Das Sport-Blog Grantland veröffentlichte am 14.1.2014 eine Reportage mit dem Titel „Dr. V’s Magical Putter„, geschrieben von dem freien Journalisten Caleb Hannan. Zunächst ging es dem Autor um das Rätsel des magischen Putters. Im Zuge seiner Arbeit an dem Artikel verwandelte sich die Geschichte aber zu einem Rätsel über die Erfinderin des Putters, Dr. V. Diese hatte sich gegenüber Hannan einen Bericht über ihre Person verbeten und wollte nur über den Putter sprechen. Dies hat der Journalist akzeptiert, später aber missachtet: Er fand heraus, dass Dr. V über ihre Vergangenheit die Unwahrheit gesagt hatte, dass sie eine male-to-female Transgender ist und wollte Dr. V mit den Rechercheergebnissen konfrontieren.

Der Text schlug hohe Wellen, wurde erst gefeiert, dann stark kritisiert. Der berechtigte Vorwurf: Die Geschichte ist gegenüber transgender-issues unsensibel und der Journalist hätte den Wunsch Dr. V’s, nicht über ihre Person zu berichten, berücksichtigen müssen. Der Chef von Grantland, Bill Simmons, hat dann einen äußerst bemerkenswerten Text verfasst, in dem er die Schuld für den Tod und die misslungene Reportage auf sich nimmt („The Dr. V Story: A Letter From the Editor„). Ein Text, in dem das journalistische Ethos präzise deutlich wird und sich eine beispielhafte, der Humanität verpflichtete journalistische Verantwortung zeigt. Originaltext und der Beitrag von Simmons sind und bleiben beide online: Als Dokumentation eines schrecklichen Fehlers und mit dem Ziel, dass Journalisten daraus lernen. Ich werde diesen Fall sicher noch oft in medienethischen Seminaren zur journalistischen Ethik benutzen.

Den Fall um die Reportage und Dr. V’s Freitod hat jetzt Hakan Tanriverdi (Twitter: @hakantee) für das Magazin „journalist“ aufgeschrieben. Titel: Eine Lüge, ein Geheimnis und eine Tragödie. Durch seine Anfrage nach einer medienethischen Einschätzung dazu bin ich auf die tragische Geschichte aufmerksam geworden. Alles weitere, auch meine Meinung dazu, in Hakan Tanriverdis lesenswertem Text.

Eröffnung des Lehrstuhls Medienethik bei BR-alpha

Letzte Woche Mittwoch fand die feierliche Eröffnung des Lehrstuhls Medienethik statt, dessen Inhaber ich seit dem 1. September 2013 bin. Es war ein sehr schöner, kurzweiliger Abend und damit ein, so die Rückmeldungen, gelungener Start in die Arbeit des Lehrstuhls.

Die Veranstaltung wurde vom Bayerischen Rundfunk aufgezeichnet und wird morgen Abend auf BR-alpha gesendet. Der genaue Termin: Sa., 9.11., 22.30 Uhr, Link zur Sendungswebsite.

Das Programm:

  • Begrüßung des Präsidenten (Prof. Dr. Dr. Johannes Wallacher)
  • Die Freiheit der Medien in digitalen Zeiten – Aufgaben und Ziele des neuen Lehrstuhls für Medienethik (Prof. Dr. Alexander Filipović)
  • Medienethische Gespräche mit:
    • Ingrid Deltenre, Leiterin der Generaldirektion der European Broadcasting Union, Genf
    • Prof. Markus Schächter, Honorarprofessor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie
    • Dr. Stefan Leifert, ZDF-Hauptstadtstudio, Berlin
    • Prof. Dr. Alexander Filipović, Professor für Medienethik an der Hochschule für Philosophie

Moderation: Anouschka Horn, Bayerischer Rundfunk

Update 11.11.13: Die Sendung gibt es auch in der Mediathek: http://br.de/s/tm0XUC.

Tebartz-van Elst und die Medien

In den letzten Tagen bin ich von verschiedenen kirchlichen Medien um eine Einschätzung gebeten worden, wie die mediale Berichterstattung über Bischof Tebartz-van Elst zu bewerten ist. Auch bei anderen „Äffären“ kann man übrigens sehen, dass sich zunächst eine Berichterstattung aufbaut, ungeheuer Fahrt aufnimmt und dann nach und nach eine Selbstreflexion beginnt, bei der die „Berichterstattung über die Berichterstattung“ an die Stelle der Berichterstattung tritt.

Meine medienethische Meinung ist, dass Journalisten hier a) ihren (guten) Job gemacht haben und recherchiert und informiert haben über Vorgänge, die vor der Öffentlichkeit versteckt gehalten wurden. Andererseits muss man b) sehen, dass es zu einer Überberichterstattung (der Journalismus spielte „Deutschland sucht den ärmsten Bischof“) und auch zu deutlichen Fehlleistungen gekommen ist (etwa wenn über einen krankhaften Geisteszustand des Bischofs spekuliert wird).

Eine Medienkampagne gegen die Kath. Kirche zu wittern halte ich (sofern dies von Kirchenvertretern selbst kommt) für einen schlimmen Kommunikationsfehler und bei allem was ich weiß auch für nicht berechtigt. Wenn es kriselt, sind die Medien und ihre eigenen Gesetze zu loben und zu unterstützen, wenn alles ruhig ist, gehört ethische Kritik an der Mediengesellschaft zur zeitgenossenschaftlichen Aufgabe der Kirche.

Die öffentliche medienethische Expertise findet natürlich in den Medien selbst statt und daher sind meine Äußerungen Teil des öffentlichen Diskurses. So ist es nicht überraschend, dass zu meinem KNA-Interview vom Montag (seit Dienstag, 22.10.  im Angebot der KNA) die Unterzeile „Medienethiker Alexander Filipovic kritisiert die Öffentlichkeitsarbeit der Kirche“ hinzugefügt worden ist (siehe etwa den Abdruck in der Mainpost vom 23.10.2013). Im Interview fallen die Sätze:

Filipovic: Das größte Problem in Deutschland ist, dass es unter den Bischöfen und Bistümern keine abgestimmte Kommunikationsstrategie gibt. Es scheint einfach nicht möglich zu sein, dass man die Kommunikation zusammenzieht. Vielleicht gibt es dafür gute Gründe, aber die Medien reagieren darauf höchst verstört, dass es keinen Ansprechpartner gibt für die katholische Kirche in Deutschland, sondern dass es 27 gibt. Daran müsste man arbeiten: an einer verstärkten, zentralen Kommunikationsstrategie und Öffentlichkeitsarbeit. Da müssen dann auch Posten geschaffen werden.

Ich bin sicher und weiß, dass in der Kirche an vielen Stellen gute, sogar hervorragende Öffentlichkeitsarbeit geleistet wird, auch im Bonner Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Ziel meiner Kritik war nicht diese Öffentlichkeitsarbeit, sondern das m.E. in der Tat vorliegende strukturelle Problem, dass Kirche von außen als ein Akteur wahrgenommen und angefragt wird, intern aber 27 Bistümer mit ihren Bischöfen selbständig agieren. So wird ein Limburger (und mit den kath. Krankenhäusern damals Kölner) „Problem“ zwangsläufig zu einem (extremen) Problem der gesamten deutschen katholischen Kirche, auf das aber nicht als solches reagiert werden kann (weil etwa die Presseabteilung der DBK nichts zu Limburg sagen kann).

Deshalb plädiere ich für Strukturveränderungen, die sich nur im Zuge einer Zusammenarbeit der Bischöfe realisieren ließen. Etwa wäre die Absprache denkbar, dass bei der DBK eine Abteilung für Krisenkommunikation geschaffen würde, die die Arbeit dann im Fall vor Ort übernimmt. Freilich würde das bedeuten, dass diese Leute dann nicht (nur) dem jeweiligen Ortsbischof verpflichtet wären, sondern einem gemeinsamen Interesse der Kath. Kirche in Deutschland. Ob und wie das allerdings realisiert und in Strukturen verfestigt werden könnte – da bin ich recht ratlos und gar skeptisch.

 

Interview zur Medienethik-Professur

In der Radiosendung „Impuls“ des SWR2 ist heute ein Interview mit mir gesendet worden. Es geht um den neuen Lehrstuhl für Medienethik an der Hochschule für Philosophie und welche Schwerpunkte ich als Professor dort setzen möchte. Das Gespräch führte Anja Brockert.

Das Interview kann hier nachgehört oder heruntergeladen werden. Originale Sendezeit war  der 19.7.2013, zwischen 16:05 und 17 Uhr (Link zur Sendung).

Darf man das Video des mutmaßlichen Attentäters von Woolwich zeigen?

Warnung: Die Links führen zu Seiten, die das Video zeigen. Nach meiner Einschätzung gibt es gute Gründe, das Video nicht zu zeigen bzw. nicht anzuschauen.

Das Video des mutmaßlichen Attentäters von Woolwich macht die Runde im Internet. Nach und nach scheint man sich jetzt Gedanken darüber zu machen, ob es statthaft ist, das Video zu zeigen. Im Spiegel-Online-Artikel zum Thema wird der Londoner Journalismusprofessor Ray Greenslade zitiert mit der Aussage, dass Zeitungen und TV-Stationen „komplett bescheuert“ wären, wenn sie das Video nicht zeigen würden. Spiegel-Online selbst zeigt das Video, genau wie natürlich Bild.de und auch FAZ-Online.

Süddeutsche.de schreibt dagegen:

Im Zuge der Berichterstattung verzichtet Süddeutsche.de bewusst auf die Veröffentlichung von Fotos und Videos mit blutigen Bildern zu diesem Vorfall. Uns ist bewusst, dass andere News-Seiten, auf die wir – nach sorgfältiger Prüfung – in unseren Texten verlinken, derartige Fotos und Videos möglicherweise zeigen. Wir glauben jedoch, dass in diesen Fällen der Informationsgehalt der verlinkten Artikel so hoch ist, dass Verweise dennoch gerechtfertigt sind.

Warum sollte man also das Video nicht zeigen?

Ein Argument ist, dass mit dem Zeigen des Videos die Menschenwürde des Opfers verletzt wird: Der Leichnam des offenbar gerade getöteten Opfers ist im Hintergrund zu sehen, während sein mutmaßlicher Mörder sich inszeniert und triumphiert.

Ach andere Gründe sprechen meines Erachtens gegen ein Veröffentlichung: Die schreckliche Tat wird durch die blutigen Hände, die Waffen und die zeitliche Nähe zum Mord sehr real und echt erfahrbar. Viele Menschen wollen so etwas nicht sehen und sollten geschützt werden – wenigsten durch eine Warnung über dem Video.  Eine Warnung fehlt völlig bei Bild.de, Spiegel Online und FAZ-Online – das halte ich allerdings für eine zu kritisierende Nachlässigkeit. Bei ITV, dem britischen Sender, der das Video offenbar zuerst ausgestrahlt hat, findet sich über dem Video der deutlich sichtbare Satz:

A warning that this video contains graphic images of a man with bloodied hands and holding a meat cleaver:

Auch Kindern und Jugendlichen sollte der Zugang zu so einem Material nicht zu leicht gemacht werden. Zwar kann über die Wirkung solcher Medieninhalte nur spekuliert werden und zwischen dem Anschauen solcher Videos und einer steigenden Gewaltbereitschaft gibt es meines Wissens nach keinen kausalen Zusammenhang. Aber ganz intuitiv würde ich sagen, dass Kinder vor solchen Medieninhalten geschützt werden sollten.

Moralische Überlegungen, also die Würde des Opfers, und Rezipientenschutz angesichts der Grausamkeit sollten in die Entscheidung einfließen, ob das Video gezeigt wird oder nicht. Natürlich besteht auch eine Informationsaufgabe und das Video ist ein wichtiger Fakt bei diesem Mord. Es bleibt eine Abwägungsfrage. In diesem Fall aber denke ich, überwiegen Gründe, die gegen eine Veröffentlichung sprechen.

Und in diesem Sinne ist Süddeutsche.de eben nicht „komplett bescheuert“ (s.o.), nur weil sie sich nicht dem allgemeinen Verhalten anschließt. Man muss nicht der Meinung sein, das Video besser nicht zu präsentieren, aber so eine Entscheidung sollte im journalistischen Alltag eine Option bleiben und nicht für „bescheuert“ erklärt werden.

Update 24.05.2013: Zitiert bin ich (mit Kollege Christian Schicha) zum Thema hier.

Update 28.05.2013: Eine interessante, ebenfalls kritische Einschätzung von Rainer Stadler zum medialen Umgang mit dem Video im Blog „IN MEDIAS RAS“ (Medienblog der NZZ).

Beitrag zum „vernetzten Individualismus“

Gerade ist in den „Katechetischen Blättern“ ein Beitrag von mir erschienen, der die sozialen Phänomene hinter Facebook und Co. (= onlinebasierte soziale Netzwerkdienste) versucht zu beschreiben.

Filipović, Alexander (2013): Individualismus – vernetzt. In: Katechetische Blätter 138 (3), S. 164–169.

Ich stütze mich in meinem Beitrag wesentlich auf das Buch „Networked. The New Social Operation System“ von Harrison Rainie und Barry Wellman. Hier die Einleitungssätze meines Beitrags:

Die digitale Welt der Kommunikation beeinflusst unser Leben in grundlegender Weise. Hinter unserem Gebrauch vom Internet, den mobilen, internetfähigen Geräten und hinter unserer Kommunikation in den sogenannten Social Media zeigt sich ein Muster, das zu einem neuen Paradigma menschlicher Interaktion, zu einem neuen Denkmodell und einer neuen Leitidee des menschlichen Selbstverständnisses schlechthin avanciert. Vernetzung scheint ein Begriff zu sein, der diese Veränderung am treffendsten auf den Punkt bringt. Damit wird nicht, wie man denken könnte, die Individualisierung rückgängig gemacht. Vielmehr ist von einem vernetzten Individualismus die Rede. Das vernetzte Individuum ist der Mensch der digitalen Internetwelt und der vernetzte Individualismus ist das neue soziale Betriebssystem (vgl. Rainie/Wellmann 2012).

Geht man von der These einer grundlegenden Veränderung der Kommunikations- und damit der Lebensweisen in der Welt der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten aus, kann man zunächst nach den Auslöse- und Beschleunigungsfaktoren dieses Wandels fragen. Sie werden als soziale und technische Innovationen auf dem Weg zum vernetzten Individualismus vorstellig (1). Wie dieses Paradigma als Praxis realisiert wird, zeigt sich exemplarisch daran, wie Beziehungen und Familien im Modus der Vernetzung »stattfinden« (2). Diese Ergebnisse verschränken sich mit den im Prinzip schon länger bekannten und auch bedrohlichen Phänomenen einer Mediengesellschaft, die mit Virtualität und Inszenierung medienphilosophisch auf den Begriff gebracht werden (3). In einem kurzen Ausblick werden daraus einige grundsätzliche Anforderungen an Erziehung und Bildung in einer Gesellschaft des vernetzten Individualismus deutlich (4).

(Quelle: Filipović 2013, 164)

Das ganze Heft (H. 3 der Katechetischen Blätter 2013, Jg. 138) steht unter dem Thema „Social Media“ und ist vor allem für Pädagogen lesenswert. Hier geht es zur Website des Verlags (Editorial und einige weitere Texte sind einsehbar).

Literatur

  • Filipović, Alexander (2013): Individualismus – vernetzt. In: Katechetische Blätter 138 (3), S. 164–169.
  • Rainie, Harrison; Wellman, Barry (2012): Networked. The new social operating system. Cambridge, Mass: MIT Press.

Papst und Medien, Katholische Presse, Kirche im Rundfunk – die neue Ausgabe von Communicatio Socialis (1/2013)

Die neue Ausgabe von Communicatio Socialis hat die Themenschwerpunkte Papst und Medien, Katholische Presse und Kirche im Rundfunk. Der Artikel „New Pope, New Hope“ gibt besipelsweise einen Überblick über die Papst-Euphorie der letzten Wochen (Volltext hier). Medienethisch besonders beachtenswert der Artikel von Nina Köberer: „Medienethik als Bezugsdisziplin normativer Medienforschung. Konsequenzen medienethischer Reflexion für die Praxis.“

Inhalt

Von Benedikt zu Franziskus

  • Annika Franzetti / Renate Hackel-de Latour / Christian Klenk: „New Pope, New Hope“. Papst-Euphorie: Plötzlich hat das Thema Kirche in den Medien wieder Hochkonjunktur
  • Roland Burkart / Jens-Peter Noll: Die Nachricht vom Papst-Rücktritt. Eine Anatomie ihrer Verbreitung
  • Besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Wahrheit. Ansprache von Papst Franziskus an die Journalisten (Dokumentation)

Katholische Presse

  • Christian Klenk: Die Ordens- und Missionspresse in Deutschland. Rahmenbedingungen, Angebot und Rezeption
  • Andrea Franzetti / Annika Franzetti:Die Lage der Bistumspresse – ein Blick über die Grenze. Kirchenzeitungen in Poona, Gitega und Leitmeritz
  • Burkhard Schäfers: Ausbildung für alle Medienbereiche. Das Volontariat in der katholischen Presse unter veränderten Vorzeichen

Kirche im Rundfunk

  • Christian Turrey: Das Gespräch mit den Vielen führen und die Herzen berühren. 25 Jahre Kirche im Privatfunk (KAPRI)
  • Christian Klenk: Vom O-Ton bis zur kompletten Magazinsendung. Die Beiträge der katholischen Kirche im privaten Hörfunk
  • Sven Herget / Verena Horeis: Kirche im medialen Abseits. Warum kirchliche Themen in den Radionachrichten nicht gehört werden

Medienethik

  • Nina Köberer: Medienethik als Bezugsdisziplin normativer Medienforschung. Konsequenzen medienethischer Refl exion für die Praxis

Dokumentation

  • Soziale Netzwerke – Portale der Wahrheit und des Glaubens. Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum 47. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel
  • Katholischer Medienpreis 2012. Flucht und Migration im Fokus
  • Kirchliche Filmpreise 2012. Auszeichnungen bei internationalen Festspielen
  • Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2013. Auszeichnung für Tamara Bach

Literatur-Rundschau

  • Gerda Schaffelhofer (Hg.): Du bist Petrus. Anforderungen und Erwartungen an den neuen Papst (Heinz Niederleitner)
  • André Schüller-Zwierlein / Nicole Zillien (Hg.): Informationsgerechtigkeit (Alexander Filipovic)
  • Marcus Bösch et al. (Hg.): Kill your Darlings. Handbuch für die Journalistenausbildung (Renate Hackel-de Latour)
  • Daniel Roth: Zündstoff für den „Columbine-Effekt“? (Melanie Verhovnik)
  • Konrad Dussel: Pressebilder in der Weimarer Republik: Entgrenzung der Information (Klaus Arnold)

Weitere Infos und Bezug hier.

Die Papstwahl und die Medien

Eigentlich wäre nach meinem Eintrag zum medialen Echo des Papstrücktrittes ein analoges Posting fällig zum Thema „Die Papstwahl und die Medien“. Nach dem medialen Stress der letzten Tage scheint spätestens jetzt eine Reflexion darüber in Gang zu kommen, was da medial eigentlich passiert. Ich verweise aus Zeitnot aber hier nur auf das Blog-Posting von Gerd Häfner, der nicht nur lesenswert kommentiert, sondern interessante Beiträge verlinkt.

Der Papstrücktritt und die Medien

Der Rücktritt des Papstes war ein immenses Medienereignis. Die Nachricht hat „eingeschlagen“. Innerhalb weniger Minuten hat sich zum Beispiel in Deutschland kein Mensch mehr für das Thema „Schavan“ interessiert. Wenn man sich nur die Titelseiten der internationalen Presse am Tag nach dem Rücktritt anschaut, sieht man, wie die Presse fast ungläubig reagiert und mit der Absurdität der Nachricht (“Papst kündigt Rücktritt an”) spielt oder das zumindest versucht (mein Favorit: „Pope Quits“, Daily Telegraph).

Inhaltlich und organisatorisch ist der Fall sicher eine Herausforderung für die Redaktionen gewesen, speziell in Deutschland. Einiges kommt hier zusammen, was kaum zeitgleich behandelt werden kann: ein Papst tritt zurück, ein deutscher Papst tritt ab, die Leistungen eines Intellektuellen wollen gewürdigt werden, Vorbereitung der Papstwahl, Spekulation um den Nachfolger – und alles das in einer Situation, in der die Katholische Kirche mit „Skandalen“ zu kämpfen hat (z. B. Missbrauchsfälle, Vatileaks) und in besonderer Weise mediale Aufmerksamkeit erfährt.

Anlass für eine Medienkritik?

Im Ganzen gesehen gibt die Berichterstattung um den Papstrücktritt und die anstehende Wahl keinen großen Anlass für Medienkritik. Richtige Ausfälle sind nicht zu verzeichnen oder habe ich nicht bemerkt. Der Boulevard war einigermaßen einfallslos, die Bild-Zeitung konnte mit ihrer schlappen Schlagzeile „Keine Kraft mehr” nicht an ihren legendären Titel von der Papstwahl („Wir sind Papst”) heranreichen. Der Titel der TAZ vom 12.2. („Gott sei Dank”) wurde meines Erachtens zu Recht als misslungen bezeichnet: Sie zeigt, dass ein negativer Vorbehalt, gerade wo er als originelles Witzchen inszeniert wird, selten zu einer weiterführenden Auseinandersetzung in der Sache führt.

Dem Fernsehen haben in den Sondersendungen die Experten gefehlt, so dass hier nicht selten Journalisten von Journalisten befragt wurden (z.B. Michaela Pilters von Peter Frey im Heute-Spezial am Tag der Rücktrittsankündigung). Deutlich wird daran, wie sehr der Katholischen Kirche „Köpfe” fehlen, die aus der Innenperspektive plausibel und sympathisch und unter Umständen dabei streitbar die eigene Sache vertreten. Andererseits hängt das aber auch mit der Fixierung der Medien auf Amtspersonen zusammen, wobei das wiederum auch mit den Strukturen der Kirche selbst zu tun hat.

„Papst-Content“ zwischen Rücktritt und Papstwahl

Die Menge an „Papst-Content” gerade in den ersten Tagen und jetzt bei der Vorbereitung auf das Konklave ist sicherlich bemerkenswert. Viel Abseitiges habe ich dabei nicht bemerkt. Auch um die lange Zeit zwischen Rücktrittsankündigung und Papstwahl zu überbrücken, brachte und bringt die Presse die Human-Touch-Geschichten zu Benedikt, einzelnen Kardinälen oder zu der Journalistin, die durch ihre Lateinkenntnisse als erste den Rücktritt überhaupt verstanden und in den Ticker gegeben hat. Das sind personalisierte „Stücke“, in und an denen das Ereignis exemplarisch deutlich werden soll. Man sieht an der Menge der Papst-Berichterstattung: Die katholische Kirche hat  – trotz und wegen ihrer besonderen Verfahren, Riten, Zeichen und Ämter – in Deutschland und weltweit eine große Aufmerksamkeit, die sich vor allem am Papst und an der „Zentrale” in Rom entzündet.

Eine Papstwahl ist immer ein Ereignis, das dieses Mal sicher durch den Rücktritt, aber auch zum Beispiel durch Vatileaks noch eine eigene Dynamik bekommt. Alle spüren, wie notwendig eine Reform der römischen Kurie ist. Die Spannung ist dieses Mal sehr groß, wie diese Reform angegangen wird, welche Reichweite sie haben wird und wer sie initiiert. Was sich mit dem Rücktritt, der Neuwahl, der Reform, den dann zwei Päpsten (emiritiert und amtierend) und dem weißen Rauch abspielt, ist ein Drama, durchaus in einem positiven Sinne. Es ist für sehr viele Menschen interessant, spannend und der Ausgang ist ungewiss. Die Menschen lieben das, und die Medien daher auch.

Lustig? Der Papst in den Social Media

Was allerdings nicht nur mir aufgefallen ist, ist der Unernst im Umgang mit der Nachricht vom Papstrückgang im Internet und den Social Media (vgl. die Artikel in SpOn, in der SZ von Johannes Boie, und in der TAZ). Egal, ob der Papst-Rücktritt jetzt das Ereignis mit der bisher größten Twitter-Resonanz der Geschichte ist oder nicht (die Messungen gehen da auseinander): der Kalauer, die lustig gemeinte schlaue Bemerkung, die ironische Respektlosigkeit, der Papst-Witz auf der letzten noch denkbaren Meta-Ebene des Phänomens – dieser Modus prägte im Wesentlichen die Resonanz im Internet.

Es wird daran deutlich, dass sich die Menschen nicht für den Papst, Benedikt selbst, das Verhältnis von Religion und Gesellschaft oder für die Bedeutung des Rücktrittes interessieren. Es wird nur deutlich, wie auch dieses Thema ganz aus der Ich-Perspektive dafür benutzt wird, in der eigenen Facebook-Timeline ein paar „Likes” einzusammeln. Natürlich gibt es unglaublich viel Qualität auch zu diesem Thema im Netz. Aber mir ist aus diesem Anlass aufgefallen, wie weit doch der Mainstream der Kommunikation in Twitter und Facebook von der Qualität eines öffentlichen Diskurses entfernt ist.

Führt der Rücktritt zu einem neuen medialen Umgang mit dem Papst?

Es wurde von Kirchenvertretern und Theologinnen und Theologen vielfach bemerkt, dass dieser Rücktritt das Papstamt verändert (vgl. das Dossier beim MFThK). Das ist ohne Frage richtig. Manche halten das für gut, andere für schlecht – je nach Standpunkt. Es überwiegt in der Berichterstattung eher der Respekt für den Schritt, der als Respekt vor Benedikt XVI. zum Ausdruck gebracht wird – bei gleichzeitiger genereller Distanz zur Katholischen Kirche.

Inwieweit die Veränderung des Papstamtes den Medienumgang mit der Katholischen Kirche und dem Papst verändern wird, lässt sich kaum vorhersagen, nur vermuten. Der allgemeine Medienumgang mit der katholischen Kirche ist sowieso geprägt von einer kritischen Grundhaltung und der Papst wird ja bisher keinesfalls als unangreifbar behandelt oder medial mit Samthandschuhen angefasst. Diese Grundhaltung wird, so glaube ich, durch Benedikts Rücktritt weder verstärkt noch gemindert werden.

Allerdings – und das wird interessant zu beobachten sein – könnte sich der Umgang der kirchlichen und kirchennahen Medien mit dem Papst ändern. Wenn sich das Papstamt ändert, es sich als weniger mystisch und sakral begreift, wird die sachliche Auseinandersetzung mit den Aufgaben des Papstes hoffentlich leichter. Stark konservativ ausgerichtete kirchennahe Medien (gloria.tv oder kath.net) werden an ein solches Papstbild jedenfalls kaum Anschluss finden. Eine sachliche Berichterstattung und Kirchenkritik durch die kirchlichen Medien, ohne falschen Respekt vor der übermenschlichen Größe des Amtes, die an einer guten und gerechten Gestalt von Kirche interessiert ist – das würde ich mir von der christlichen Medienwelt weiterhin und verstärkt wünschen.

Dass der Papst ohne Weiteres zurücktreten kann, dies eine reale und ergreifbare Möglichkeit darstellt, wird von den Medien nicht vergessen und wird bei entsprechendem Anlass sicherlich hervorgeholt werden. Einen neuen und andersartigen Kampagnen-Journalismus gegen den Papst oder die Katholische Kirche wird der Rücktritt und die Veränderung des Papstamtes aber kaum befördern.

Quellen/Hinweise

Als Quelle habe ich vor allem das „Altpapier“ vom 13.2.2013 und vom 12.2.2013 benutzt. Der Text ist veranlasst worden durch eine Anfrage der Pressestelle der Universität Münster, die dafür auch einige Fragen formuliert hat, an denen ich mich orientiert habe. Die daraus entstandene Pressemeldung vom 12.3.2013 umfasst zwei Absätze. Hier in diesem Posting sind die dort aufgeführten Zitate in ihrem ursprünglichen Kontext nachzulesen.