Niklas Luhmann: Videos bei Youtube

Vor Jahren hatte ich hier schon mal auf einige Videos von Niklas Luhmann bei YouTube hingewiesen. Die Links funktionieren nicht mehr und neue Filme sind mittlerweile hinzugekommen.

Daher jetzt eine aktualisierte Version dieses alten Postings:

Einblicke in die frühe Phase gibt ein Luhmann-Interview von Ulrich Boehm aus dem Jahr 1973 (Uniaudimax, Sendung 28.08.1973, Kamera Bernd Maus) – immerhin 11 Jahre vor “Soziale Systeme”. Gerade im Vergleich mit den anderen Dokumentationen sehr interessant: z.B. ist das Büro in Oerlinghausen noch aufgeräumter und Luhmann muss bei der Beantwortung vom Zettel ablesen.  Dieses ganze Interview ist vollkommen in der Perspektive einer Rechtfertigung Luhmanns gegenüber seinen Kritikern durchgeführt. Die bekannten Kritikpunkte werden referiert und Luhmann antwortet darauf in seiner eigenen Art.

Der Schlussteil: “Herr Prof. Luhmann, welche Kritiker Ihrer Systemtheorie fürchten Sie am meisten?” – “Die Dummen.”

Eine Dokumentation mit dem Titel „Beobachter im Krähennest“, deren Herkunft nicht ganz klar ist (offenbar ist es eine „Philosophie heute“ Sendung aus dem Jahr 1989 über die Ökologie-Debatte), ist etwas kurzweiliger: Sie zeigt Luhmann in seinem Bielefelder Büro (leitet zur Stelle im Film) und auf der Terasse vor einem ungemütlich aussehenden Stück Natur. Ebenfalls Teil dieser Dokumentation scheint der Ausschnitt zum berühmten Zettelkasten zu sein. Großartige Technik und großartig erklärt. Und wenn man am Ende Luhmann tippen sieht, kann man sich kaum vorstellen, dass er so viel publizieren konnte.

Am besten sieht man die beiden Teile in einem Zusammenschnitt mit dem Teil über Systemtheorie:

  • das Rechtfertigungsinterview über Systemtheorie von 1973 hier,
  • der Ökologieteil von 1989 direkt hier und
  • der Teil mit dem Zettelkasten (auch 1989hier.
Alles zusammen hier:

Ein letztes Video (ein Neuzugang) ist der Anfang eines Vortrages von Luhmann mit dem Titel: Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? Vgl. Luhmann, Niklas (1993): Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen? Heidelberg: C. F. Müller (Heidelberger Universitätsreden. 4). Hier ist der späte Luhmann zu sehen, der aber immer noch gerne grau trägt… Den vollständigen Vortrag kann man auch auf DVD kaufen (Link).

Und zuletzt poste ich noch das Interview über das Buch „Liebe als Passion“, das Alexander Kluge für sein Format „Prime Time“ (vermutlich 1994) mit Luhmann geführt hat:
Teil 1:

Teil 2 (mit Luhmanns denkwürdiger Aussage bei ca. 3:37: „immer Freitags“)

Medienethik beim Petersburger Dialog 2012

Am Mittwoch reise ich nach Moskau zum 12. Petersburger Dialog. Der Petersburger Dialog (offizielle Website, Wikipedia-Eintrag) ist ein Gesprächsforum mit dem Ziel, eine zivilgesellschaftliche Verständigung zwischen Deutschland und Russland zu fördern. Er wurde beispielsweise beschrieben als „das Hochamt der deutsch-russischen Beziehungen“So Winfried Weithofer in der Waiblinger Kreiszeitung vom 5.11.2012, S. 2..

Das Dach-Thema des diesjährigen Treffens ist „Russland und Deutschland: Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“. Schirmherrin und Schirmherr sind Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel und der Präsidenten der Russischen Föderation, Wladimir Putin. Beide werden beim Abschlussplenum am Freitag im Kreml (16.11.2012) anwesend sein.

Es gibt beim Petersburger Dialog eine Reihe von Arbeitskreisen, darunter auch den Arbeitskreis „Kirchen in Europa“. Ich bin als Experte dieses Arbeitskreises eingeladen. Ausgewählt hat man mich, weil ich Berater der Publizistischen Kommission der Deutschen Bischofskonferenz bin und am medienethischen Impulspapier der Kommission mitgeschrieben habe.

Thema des Arbeitskreises ist „Der Mensch zwischen virtueller Welt und Realität. Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft“. So lautet auch der Titel meines Impulsvortrags. Ich konzentriere mich in meinem Vortrag auf eine christlich-ethische Beurteilung der digitalisierten Informationsgesellschaft. In meinem Vortrag versuche ich auf drei Fragen eine Antwort zu geben:

  • Wie können wir das veränderte Leben in der digitalen Gesellschaft bewerten?
  • Wir können wir eine spezifisch christliche-ethische Beurteilung vornehmen?
  • Welche Folgen hat eigentlich der neue Modus von Vergesellschaftung, sozialer Kommunikation und Gemeinschaftsbildung für die Kirche?

Hier ein Auszug aus meinem Vortrag, der das ethische Kriterium der Beteiligungsgerechtigkeit einführt:

„Auf der politischen Ebene der Gestaltung des sozialen menschlichen Zusammenlebens geht es um Gerechtigkeitskriterien […]. Dabei wird die Beteiligung in und an dem zivilgesellschaftlichen Lebensraum Internet zur Frage gerechter Beteiligung. Das Kriterium gerechter Beteiligung verfolgt im Kern die Sicherung individueller Autonomie angesichts der generellen Problematik von Vergesellschaftungsprozessen. Zugehörigkeit zum und Beteiligung im Lebensraum Internet ist mehr und mehr die Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe, und in diesem Sinne sind Kommunikationschancen immer auch Lebenschancen. Beteiligungsgerechtigkeit zielt auf die Überwindung von sozialer Ausgrenzung, mangelndem Anschluss und Mitbestimmung, Machtlosigkeit/Ohnmacht, Vereinsamung, Exklusion, Fremdbestimmung, Fremdheit und Nicht-Zugehörigkeit durch eine gesellschaftsstrukturelle Veränderung und ist in dieser Perspektive im Kern gesellschaftskritisch.“

Internetethik in Russland?

Dass der Petersburger Dialog zum Thema „Informationsgesellschaft“ stattfindet und in Russland gerade ein „Gesetz zum Sperren von Webseiten mit schädlichen Inhalten für Kinder“ in Kraft getreten ist, das eine Internetzensur mindestens ermöglicht (das deutsche „Zugangserschwerungsgesetz“ lässt grüßen, vgl. kritisch dazu netzpolitik.org), verleiht dem Treffen natürlich eine brisante Dynamik. Hinzu kommt, dass der Petersburger Dialog seit einigen Jahren in der Kritik steht. Und aktuell hat sich der Russland-Koordinator der Bundesregierung, Andreas Schockenhoff (CDU), kritisch über das „System Putin“ zu Wort gemeldet. Das Verfahren gegen Pussy Riot, repressive Tendenzen im Umgang mit Oppositionellen oder Einschränkungen der Versammlungsfreiheit durch das neue Demonstrationsrecht wurden von ihm kritisiert: „Hinter all dem steht eindeutig die Absicht, Kritik und organisierte Opposition zu unterbinden“ (Quelle). Von russischer Seite hat das eine entsprechende Reaktion hervorgerufen. Der Beitrag der Deutschen Welle dazu sieht den Petersburger Dialog als gefährdet an. Der Bundestag hat am vorigen Freitag eine Entschließung verabschiedet, in der es heißt:

„Mit besonderer Sorge stellt der Bundestag fest, dass in Russland seit dem erneuten Amtsantritt von Präsident Wladimir Putin gesetzgeberische und juristische Maßnahmen ergriffen wurden, die in ihrer Gesamtheit auf eine wachsende Kontrolle aktiver Bürger abzielen, kritisches Engagement zunehmend kriminalisieren und einen konfrontativen Kurs gegenüber Regierungskritikern bedeuten.“ (Quelle)

Das sind also die Vorzeichen… Ich bin sehr gespannt, wie das Treffen verläuft (Tagungshotel ist das ehemalige Hotel Ukraina, eine von Stalins Sieben Schwestern) und erhoffe mir (trotz der Irritationen und der Missstände) einen echten Austausch nicht nur in der AG Kirche. Und: Ich versuche zu twittern (http://twitter.com/afilipovic)!

Konflikt, Protest und die Medien – die neue Ausgabe von Communicatio Socialis (3/2012)

Die neue Ausgabe von Communicatio Socialis hat den Themenschwerpunkt „Konflikte und Proteste in der Öffentlichkeit“. Dazu Annika Franzetti in ihrer Einleitung (Volltext hier):

„Communicatio Socialis hat verschiedene Autoren gebeten, Konfliktstrukturen und Protestkulturen aus der jüngeren Vergangenheit aus ihrer Perspektive zu beleuchten und dabei auch die Rolle der Medien kritisch zu hinterfragen. Den Auftakt macht Jeffrey Wimmer, der sich aus kommunikationstheoretischer Sicht mit dem Thema Protest befasst und (mediale) Gegenöffentlichkeiten in den Mittelpunkt seines Beitrags stellt. Mareille Landau und Reiner Wilhelm, Mitarbeiter der bischöflichen Hilfsorganisation Adveniat, berichten von ihren Erfahrungen aus Chile, wo sie die Studentenproteste seit Mitte 2011 mitverfolgt haben. Achim Wörner hat als Leiter der Lokalredaktion der „Stuttgarter Zeitung“ über Stuttgart 21 berichtet und die aufgeheizte Stimmung auch unter den Lesern miterlebt. Er setzt sich mit der Rolle seiner Zeitung in diesem Konflikt auseinander.

Bernhard Sutor, emeritierter Professor für Politische Bildung und Christliche Soziallehre der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt und lange Jahre Vorsitzender des Landeskomitees der Katholiken in Bayern, analysiert den Konflikt um Reformen in der katholischen Kirche. Und Josef Bruckmoser, Leiter des Ressorts Wissenschaft, Gesundheit, Religion bei den „Salzburger Nachrichten“, schildert die Protestbewegung österreichischer Pfarrer. Ergänzt wird dieses Spektrum an Berichten durch einen Standpunkt von Communicatio Socialis-Redakteur Ferdinand Oertel über eine publizistische Debatte innerhalb der Monatszeitschrift „Stimmen der Zeit“.“

Weitere Artikel:

Aufsätze

  • Heinz Pürer: Das Image von Journalisten. Prämissen und empirische Erkenntnisse
  • Jakob Wetzel: Satire – das unbekannte Stilprinzip. Wesen und Grenzen im Journalismus
  • Melanie Verhovnik: Gerichtsberichterstattung und die Verantwortung der Medien. Der Fall Rudolf R.

Zur Person

  • Michael Schmolke: Mitarbeiter der ersten Stunde. Erinnerungen an Ulrich Saxer

Literatur-Rundschau

  • Constanze Jecker (Hg.): Religionen im Fernsehen. Analyse und Perspektiven (Johanna Haberer)
  • Hans Mathias Kepplinger: Die Mechanismen der Skandalisierung. Zu Guttenberg, Kachelmann, Sarrazin & Co.: Warum einige öffentlich untergehen – und andere nicht; Bernhard Pörksen / Hanne Detel: Der entfesselte Skandal. Das Ende der Kontrolle im digitalen Zeitalter (Petra Hemmelmann)
  • Kurt Imhof: Die Krise der Öffentlichkeit. Kommunikation und Medien als Faktoren des sozialen Wandels (Annika Franzetti)
  • Wolfgang Seufert / Hardy Gundlach: Medienregulierung in Deutschland. Ziele, Konzepte, Maßnahmen. Lehr- und Handbuch (Alexander Godulla)
  • Eduard Beutner / Ulrike Tanzer (Hg.): lesen. heute. perspektiven (Wolfgang R. Langenbucher)
  • Hans-Christian Erdmann: Verantwortung von Medienunternehmen aus Perspektive der Ökonomischen Ethik (Claudia Paganini)

Weitere Infos und Bezug hier.


	

Erzbischof Celli zu Kirche in den Social Media

Claudio M. Celli, Präsident des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel, hat auf der 13. Ordentlichen Vollversammlung der Bischofssynode (7. – 28. Oktober 2012) über die Bedeutung der sozialen Netzwerke für die kirchliche Kommunikation gesprochen.

Es handelt sich meines Erachtens um einen bemerkenswerten Text, vor allem weil er erstens die „digitale Arena“ als echten (und nicht degenerativen) Lebensraum vor allem jüngerer Menschen begreift, und zweitens eine Veränderung des eigenen kirchlichen Kommunikationsstils anmahnt, der deutlich über eine bloße Veränderung der Kommunikationsstrategie hinausgeht. Zitat:

„Wir müssen anerkennen, dass die digitale Arena heute die Realität vieler Menschen ist, in der sie leben, am deutlichsten in der westlichen Welt, aber auch zunehmend unter den Jugendlichen der Entwicklungsländer. Wir dürfen sie nicht mehr als „virtuellen“ Raum betrachten, der irgendwie weniger wichtiger wäre als der „reale“. Wenn die Kirche in diesem Raum nicht gegenwärtig ist, wenn die Gute Nachricht nicht auch „digital“ verkündet wird, laufen wir Gefahr, viele Menschen zu verlieren, für die das die Welt ist, in der sie „leben“: hier ist das Forum, auf dem sie ihre Informationen und Nachrichten beziehen, ihre Meinungen bilden und zum Ausdruck bringen, sich in Debatten engagieren, in Dialog treten und nach Antworten auf ihre Fragen suchen. Die Kirche ist schon gegenwärtig im digitalen Raum, aber die nächste Herausforderung ist jene, unseren Kommunikationsstil zu verändern, um diese Gegenwart wirksam werden zu lassen.

[…]

[D]ie neuen Medien sind wirklich eine offene Welt, frei, „auf Augenhöhe“, sie anerkennen oder privilegieren nicht automatisch Beiträge von etablierten Autoritäten oder Institutionen. In einem solchen Umfeld ist Autorität kein Recht sondern muss verdient werden. Das bedeutet, dass die kirchliche Hierarchie genauso wie die politische und gesellschaftliche neue Formen finden muss, um ihre eigene Kommunikation zu erarbeiten, damit ihr Beitrag in diesem Forum die angemessene Aufmerksamkeit erhält.“

Der nicht nur kirchenpublizistisch und medienethisch, sondern auch sozialethisch interessante Text ist auf den Seiten des Päpstlichen Rates für die sozialen Kommunikationsmittel hier veröffentlicht. Das Zitat stammt aus dieser privaten Übersetzung.

[via Clearingstelle Medienkompetenz der DBK; auch „Kirche 2.0“ setzt sich hier mit dem Text auseinander]

Zur Medienethik der neuen Mohammed-Karikaturen

War die Veröffentlichung der neuen Mohammed-Karikaturen moralisch in Ordnung? Zu den medienethischen Dimensionen der neuen Mohammed-Karikaturen der französischen Satirezeitschrift „Charlie Hebdo“ sind zunächst die Kunstfreiheit und die Pressefreiheit zu betonen. Diese Freiheitsrechte sind abgeleitet von der Meinungsfreiheit (bspw. kodifiziert in den Menschenrechten). Die Meinungsfreiheit (mit ihren Realisationsformen) wurde historisch gesehen hart erkämpft und stellt eine fundamentale Norm für die moderne Demokratie und liberal-pluralistische Gesellschaften dar, in denen alle Stimmen gehört und in denen politische Konzepte, Ideen und Vorschläge öffentlich diskutiert werden müssen. Natürlich kollidiert fast jedes Freiheitsrecht mit einem anderen Freiheitsrecht bzw. erfährt von einem anderen Freiheitsrecht her seine Einschränkung. Für diesen Fall sind hier das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit einschlägig.

Zwar beziehen sich die Befürworter der Publikation der Karikaturen auf die Meinungsfreiheit, aber man wird den Eindruck nicht los, dass es ihnen gar nicht um dieses Recht und die gute Praxis innerhalb dieses Rechtsrahmens geht, sondern um die Provokation. Gegen einen gedachten oder tatsächlichen Fundamentalismus, sei es einen religiösen oder einen anderen, vorzugehen, gelingt sicher nicht mit einer Provokation. Wenn man tatsächlich für Presse-, Meinungs- und Religionsfreiheit argumentieren möchte, dann doch eher mit Fingerspitzengefühl und Vorsicht.

Es ist also die Attitüde, die stört: In Form eines Experimentes wird Strom an ein Erregungspotential gelegt (und Chefredakteure sind offenbar heute vor allem dann gute Chefredakteure, wenn sie Erregungspotentiale erkennen und damit spielen können, denn ohne diese Fähigkeit kann man da kein Geld verdienen…). Es geht ja einfach: Mohammed-Karikatur produzieren, veröffentlichen, Arme verschränken und zurücklehnen und einen Ich-hab’s-ja-gewusst-Gesichtsausdruck auflegen, wenn die Provokation (wie ja zu erwarten war) gelingt und dann, zuletzt, die Proteste als Angriff auf die Pressefreiheit als den heiligen Gral westlicher Gesellschaften interpretieren – das ist das Manöver und es ist so durchsichtig wie erfolgreich.

Medienethisch ist hier die Antwort zu geben, dass Pressefreiheit natürlich nur einen Freiheitsrahmen vorgibt, der in der konkreten Praxis ausgestaltet werden muss. Und dabei spielt verantwortlicher Respekt vor den religiösen Überzeugungen Anderer eine wichtige Rolle. Diesen moralisch geforderten Respekt mit Absicht fallenzulassen, um eine Debatte über Meinungsfreiheit oder Fundamentalismus zu provozieren, die so nicht gelingen kann, ist medienethisch zu kritisieren.

Literatur (aus einer Fülle):

  • Debatin, Bernhard (2006): Die Grenzen der Pressefreiheit? Der Karikaturenstreit als inszenierte Farce. In: Publizistik 51 (2).
  • Debatin, Bernhard (2007): Der Karikaturenstreit und die Pressefreiheit. Wert- und Normenkonflikte in der globalen Medienkultur = The cartoon debate and the freedom of the press. Berlin: Lit Verl (Kultur und Technik, 4).

Hinweis/Disclosure: Die Zeilen sind angeregt durch eine Interviewanfrage von Radio Vatikan (Interview am 21.09.2012, 11 Uhr, Update 13:34: Hier ist das Interview). Profitiert habe ich von einem Gespräch mit meinem Freund und Kollegen Daniel Bogner, der die Strom-Metapher eingebracht hat.

Eine Bühne für den Attentäter? Die Rolle der Medien im Fall Breivik

Es ist wieder Zeit für die Medienethik: Schon vor Prozessauftakt erreichten mich Anfragen zur Rolle der Medien im Prozess um den Attentäter Anders Behring Breivik. Die Ungeheuerlichkeit der Tat und die Öffnung des Prozesses für die Öffentlichkeit einschließlich einer (regulierten) Möglichkeit von Foto- und Videoaufnahmen haben dazu geführt, dass sich Journalisten aus aller Welt in großer Zahl akkreditiert haben und den Prozess vor Ort begleiten. Breiviks Aussagen „Terror ist Theater“ (Quelle) und dass mit seiner Verhandlung die „Phase der Propaganda“ beginne (Quelle), führten unweigerlich zu der Frage, wie man die Berichterstattung angehen soll. Wie sollte man berichten, ohne dass man das Ziel Breiviks, eine Bühne für seine Ideologie zu bekommen, zu befördern? Ein echtes Dilemma.

Über die Frage, ob man möglichst wenig oder ohne Einschränkungen berichten soll, lässt sich daher trefflich streiten. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mahnt in einer Presseerklärung eine vorsichtige Berichterstattung an:

DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken: „Journalisten dürfen sich nicht zu Breiviks unfreiwilligen Helfern machen lassen.“ Der Beschuldigte habe es darauf angelegt, den Strafprozess als Medienspektakel zu missbrauchen. Journalisten dürften ihm nicht auf den Leim gehen. (Quelle, via)

Dagegen meint Nils Minkma in der FAZ:

Auch in so einem Fall bleiben wir bei unseren Regeln und Gesetzen. Wäre ja noch schöner, wenn man Breivik zuliebe den Grundsatz der Öffentlichkeit von Strafverfahren hintergehen würde und ihm, in einer durch und durch abgebildeten Welt, den Sonderstatus eines Mannes ohne Gesicht zubilligte […]. Eine klare und schonungslose Berichterstattung in Wort und Bild, die Präzision darin, das ist die wirksamste Waffe der Medien, ihre vornehmste Aufgabe und im Übrigen auch ihr Job. (Quelle)

Wie wird berichtet? Vor allem der Boulevard zeigt zum Prozessauftakt, das war abzusehen, Breiviks Gesicht in Großaufnahme und/oder seinen offenbar rechtsradikalen Gruß. Der Gesichtsausdruck des Menschen, der beschrieben wird als smart, berechnend und eiskalt, steht für das Monströse der Tat. Einige Zeitungen arbeiten ohne Bild, oder gar ohne Bericht auf der Titelseite. Wie der andere versuchen, in der Bildauswahl den Prozess zu dokumentieren, ohne die Inszenierungsgesten von Breivik zu zeigen.

Die Tagesthemen am 16. April haben einen guten Bericht über die Berichterstattung (medienwissenschaftliche O-Töne von Norbert Bolz und Steffen Burkhard), informieren aber ansonsten ohne besondere Einschränkungen, zeigen also zum Beispiel den angesprochenen Gruß (bei 1 Minute 56), kommentieren dies aber entsprechend. Der nachgereichte Metabeitrag zum Mediengeschehen um den Prozessauftakt wirkt da seltsam. Sehr viel gelungener die gleich in der Anmoderation erfolgte Reflexion im Heute Journal (vom 16. April, via Matthias Rath) von Klaus Kleber und die begründete Entscheidung, warum die Inszenierungsgesten nicht gezeigt werden.

Kolleginnen und Kollegen aus der Medienethik haben sich zur Medienberichterstattung im Prozess um Breivik geäußert; bekannt ist mir beispielsweise das Interview von Christian Schicha. Ich durfte Gast im WDR5 Tagesgespräch am 18.04.2012 sein (hier zum Nachhören; ab 4:30 Minuten bin ich dann dran). Ausgangspunkt war ein dpa-Interview am Dienstag, 17.4.2012. Radio Vatikan (deutsches Programm) hat auch angerufen (Sendung Freitag, den 20.04. um 18 Uhr).

 

Communicatio Socialis

Eine der ersten Fachzeitschriften, die ich im Studium damals wahrgenommen hatte, war „Communicatio Socialis. Internationale Zeitschrift für Kommunikation in Religion, Kirche und Gesellschaft“. Die Schnittpunkte meiner Studienfächer Theologie und Kommunikationswissenschaften fanden sich in diesem Organ berücksichtigt.

Jetzt darf ich diese Zeitschrift mit herausgeben, zusammen mit Klaus-Dieter Altmeppen und Andreas Büsch (Gründungsmitherausgeber Michael Schmolke und Mitherausgeberin Ute Stenert werden mittelfristig ausscheiden). Es gibt vier Herausgebersitzungen im Jahr, meistens in München, zusammen mit der Redaktion der Zeitschrift (morgen ist es wieder so weit…).

Die Herausgeber haben sich zum Ziel gesetzt, die Zeitschrift in Richtung einer medienethischen Fachzeitschrift weiterzuentwickeln. Die Details sind noch in Arbeit und der Relaunch wird sicher nicht in diesem Jahr stattfinden. Über die Entwicklung werde ich hier ab und zu berichten. Wer unterdessen Manuskripte hat: Die Herausgeber und die Redaktion freuen sich!

Mehr Informationen unter www.communicatio-socialis.de.

Medienethische Tagung zu „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ im Internet

[Anmerkung: Diesen Text habe ich als Pressemeldung für die angesprochene Tagung verfasst, die ich als Sprecher der FG KME in der DGPuK zusammen mit den Kollegen von der FG CVK vorbereitet habe . Zum Teil habe ich zitiert von www.netzwerk-medienethik.de und www.dgpuk.de]

Medienethische Tagung zu „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ im Internet

AuthenticityAn der Frage nach der „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ kommen wir im Zeitalter des Internets nicht mehr vorbei. Sie kennzeichnet die gesellschaftlichen Debatten um die Sozialen Netzwerke, das Leaking und die virtuellen Spielewelten. Es besteht großer Bedarf an politischer Gestaltung und ethischer Vergewisserung. Anonymität ist einerseits wünschenswert, andererseits in manchen Fällen rechtlich problematisch. Wie „echt“ sind Profile in Sozialen Netzwerken, wie kann die Wahrheit von Nachrichten überprüft werden und wie begegnen wir uns im Chat und in der Online Spielewelt? Ist da Platz für die Ethik, und wenn ja: Wie müssen die Normen und Werte dafür begründet und konkretisiert werden?

Die Tagung des Netzwerkes Medienethik fragt unter dem Titel „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ nach der ‘Authentizität’ in der computervermittelten Kommunikation (16-17. Februar 2012, Hochschule für Philosophie, München). Im Hinblick auf drängende Probleme, etwa Netzpolitik, Internet-Kompetenz und Datenschutz erörtern die Vorträge Bewertungsmaßstäbe der Authentizität und die Möglichkeit der Präsentation multipler Facetten des Selbst. „Trolling“ wird als Teil der sozialen Praxis in Online-Diskussionsräumen untersucht und die Hackerethik(en) mit der Frage nach dem Subjekt im Zeitalter digitaler Identität verbunden.

Theoretische und philosophische Ansätze, die etwa Authentizität und Wahrhaftigkeit in der computervermittelten Kommunikation grundlegend klären, werden mit praktischen Fragen, etwa der konkreten bildlichen Selbstoffenbarung im Netz verbunden. Spannende Konstellationen können erwartet werden, wenn die Philosophen Jean-Paul Sartre und Charles Taylor zu einer zeitgemäßen Internetethik „befragt“ und empirische Untersuchungen zu den Social Media als Kontrolleure und Manipulateure digitaler Wirklichkeiten präsentiert werden.

Die Jahrestagung des Netzwerkes Medienethik wird veranstaltet zusammen mit den DGPuK-Fachgruppen “Kommunikations- und Medienethik” und “Computervermittelte Kommunikation”. Alle weiteren Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie hier: http://www.netzwerk-medienethik.de/jahrestagung/Tagung2012.

Das 1997 gegründete „Netzwerk Medienethik“ hat sich zum Ziel gesetzt, die ethische Orientierung im Medienbereich zu fördern. Es verbindet in einer freien Arbeitsgemeinschaft Theoretiker (aus den Kommunikationswissenschaften, der Journalistik und der Praktischen Philosophie/Ethik) mit Praktikern (aus Berufsverbänden, Selbstkontrollgremien, Verlagen, öffentlich-rechtlichen und pivat-kommerziellen Rundfunkunternehmen). Die jeweils im Februar in München stattfindenden Jahrestagungen mit regelmäßig ca. 100 Teilnehmern stellen ein inzwischen bekanntes Gesprächsforum zu Fragen der Medienethik dar.

Inhaltlich wurde die Tagung vorbereitet von den Fachgruppen “Kommunikations- und Medienethik” und “Computervermittelte Kommunikation” der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Die DGPuK ist die Fachgesellschaft der Kommunikations- und Medienwissenschaft in Deutschland. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigt sich mit den sozialen Bedingungen, Folgen und Bedeutungen von medialer, öffentlicher und interpersonaler Kommunikation.

Absturz und Reboot-Probleme meines HTC Desire

Seit gut eineinhalb Jahren besitze ich das Smartphone HTC Desire. Ich mag das kleine Format, den Bildschirm und die Ausstattung. Alles in allem damals eine gute Investition. Aber: Seit gut einem halben Jahr macht es Probleme: Es fährt plötzlich runter (stürzt ab) und hat Schwierigkeiten beim erneuten Starten (Reboot-Schleife). Bislang trat das nur selten auf, mittlerweile ist das Ding nicht mehr zu gebrauchen. Was tun? Bei O2 (oder wie Oma sagt: „Nullzwei“) vorbeigehen und reklamieren, oder sich an HTC wenden? Ich habe erstmal eine E-Mail an den HTC-Support geschrieben. Mal sehen, was passiert. Und ich hoffe, es passiert was – darum auch dieses Posting… Immerhin war das Phone damals so teuer, dass ich 5 Jahre problemlosen Betrieb (hardwareseitig) erwarten kann.

Sehr geehrte Damen und Herren,

mein Smartphone, bei O2 gekauft am [vor ca. 1,5 Jahren], macht seit ungefähr 6 Monaten Probleme. Diese häufen sich in letzter Zeit, so dass ich das Handy nicht mehr gebrauchen kann.

Problembeschreibung: Das Handy schaltet sich beim Starten einer Anwendung oder bei Gebrauch von Anwendungen, die mobiles Internet benötigen (z.B. Google Maps), automatisch aus, vibriert einmal und dann viermal kurz hintereinander und bleibt dann beim Startbildschirm stehen (Absturz). Es lässt sich nur wieder reaktivieren, wenn ich den Akku herausnehme und wieder einsetze. Oft passiert dies in einer Art Schleife öfter hintereinander. Das Phänomen trat früher nur bei Apps mit einigermaßen datenintensiv genutzter Internetverbindungen (mobil, nicht im WLAN) auf; seit ungefähr 1,5 Monaten bei allgemein rechenintensiven Aktionen (Start einer App). Als Problemlösung habe ich versucht: Reinigung der Akku-Kontakte, Einlegen einer neuen SIM-Karte, Rücksetzen des Smartphones auf Werkseinstellungen. Keine dieser Aktionen hat eine Verbesserung bewirkt.

Ich wäre Ihnen dankbar für Ihre Hilfe

Mit freundlichen Grüßen…

 

Der weitere Verlauf:

1.2.12: Empfangsbestätigung der Email durch HTC

1.2.12: Antwort per EMail von HTC: „Aus Ihrer Email geht hervor, das Sie gegenwaertig das Problem haben, das Ihr HTC Desire automatisch ausschaltet und dann im Boot-Vorgang haengenbleibt. Da Sie Ihr Geraet bereits auf die Werkseinstellung zurueckgesetzt haben, ohne dass das Problem geloest wurde, moechten wir Sie bitten, Ihr Geraet zur Reparatur einzureichen. Sie haben die Moeglichkeit, Ihr Geraet in jedem O2 Shop zur Reparatur einzureichen.“

1.2.12: Antwort von @o2de: Klick. Frage, ob ich das schon ohne SIM probiert habe und welche Firmware installiert ist.

2.2.12: Ein paar nette Tweets zwischen mir und @o2de hin und her zur Klärung des Fehlers und dann schließlich die Bitte: „E-Mail socialmedia[at]o2.com mit der IMEI-Nummer, Adresse, Fehlerbeschreibung und deiner Mobilfunknummer“

3.2.12: Email von O2, dass mich per Post die Einsendungsunterlagen erreichen

9.2.12: Einsendungsunterlagen von O2 per Post und Einsendung des Gerätes.

[Update 6.5.2012:] – Ups, an den Kommentaren merke ich gerade, dass ich das hier gar nicht mehr weiter geschildert habe. Daher in der Kurzfassung: Eine gute Woche nach Einsendung des defekten Gerätes kam das reparierte Handy wieder bei mir an. Offenbar wurde die Platine ausgetauscht (neue Gerätenummer); Akku, Gehäuse und Bildschirm sind geblieben. Ansonsten habe ich in der Sache nichts weiter von HTC oder O2 gehört, also keine Rechnung (was auch nicht angekündigt war oder womit ich gerechnet hätte) oder Rückmeldung erhalten. Das Gerät ist wieder im Gebrauch und funktioniert jetzt ohne Abstürze. Mal abgesehen von dem Ärger mit dem defekten Gerät hat die Reparatur tadellos geklappt. Insbesondere Kulanz und Reaktionsschnelligkeit von O2 verdient ein Lob.

Die medienethische Dimension der Wulff-Affäre

Mit den Anrufen von Bundespräsident Wulff bei Kai Dieckmann, Mathias Döpfner oder (laut Cicero-Online) auch bei Friede Springer hat sich die „Kredit-Affäre“ um eine „Medien-Affäre“ erweitert. Dieser Vorgang, dass ein Bundespräsident in dieser Weise Einfluss auf die Berichterstattung in den Medien nehmen möchte, ist in der Tat medienethisch hoch prekär. Vor allem das Vokabular mit dem Christian Wulff in dieser Sache über die Medien spricht (nach allem was man weiß: „Rubikon“, „Krieg“, „Stahlgewitter“) zeigt für mich ganz deutlich, dass Wulff die Medien nicht als eine durch unbedingte Pressefreiheit und Zensurverbot zu schützende kritische Öffentlichkeit begreift, sondern als Bühne, auf der er als Person gut oder schlecht dasteht. Und das ist, bei allem Verständnis für das Bestreben, gut und „richtig“ dargestellt zu werden, für einen Bundespräsidenten kein korrektes, und ich meine: kein moralisch korrektes, Verhalten.

Für mich ist klar, dass Wulff durch seinen ursprünglichen Deal mit der Bild-Zeitung (vgl. Berlin direkt vom 8. Januar 2012), durch den er sich die Rückendeckung der Bild-Zeitung u.a. für seine Scheidung und neue Beziehung sicherte (vgl. ebd.), und seinen Anruf bei Diekmann, selber Schuld an dem Medienzirkus ist, der sich in den letzten Wochen ereignet hat. Das aber darf nicht den Blick darauf verstellen, dass auch der Unterhaltungsjournalismus eine politische Verantwortung hat, Wulff also nicht nur als „Celebrity“ sehen darf, sondern auch als Person, die das Amt des Bundespräsidenten inne hat. Die Bewertungen sollten auseinandergehalten werden: Beziehen Sie sich auf die Kreditaffäre des damaligen Ministerpräsidenten (v. a. rechtliches Problem), beziehen sie sich auf den Umgang mit dieser Affäre (Ebene politischer Klugheit), beziehen Sie sich auf Kontakte zu Unternehmern in seiner Zeit als Bundespräsident (rechtliche und moralische Ebene) oder beziehen sie sich auf Wulffs Medienverständnis und seine Versuche, die Berichterstattung zu beeinflussen (medienethische Ebene).

Für die medienethischen Aspekte sind die Kolleginnen und Kollegen in der wissenschaftlichen Kommunikations- und Medienethik gefragt. So hat Klaus Beck einige Interviews gegeben und Marlis Prinzing verfasste einige Zeitungs-Beiträge.  Auf mich kam vergangenen Freitag die dpa zu und führte ein Gespräch mit mir (ebenfalls für die Hörfunk-Schiene). Der medienethische Dreh der Affäre hatte über das Wochenende seinen Höhepunkt und daher erschien das Interview in jeder erdenklichen Zeitung. Dass man dabei betitelt wird als „Ethikexperte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ (DGPuK) ist typisch, aber falsch. Mir ist nicht bekannt, dass die DGPuK einen Ethikexperten oder eine Ethikexpertin hat und wüsste auch nicht, was das sein soll. Aber mein Amt bei der DGPuK, „Sprecher der Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der DGPuK“ ist für das Nachrichtengeschäft viel zu abstrakt. „Experten“ müssen her – und eine medienethische Expertise stelle ich gerne zur Verfügung.

(Bildquelle: Screenshot von http://www.lvz-online.de)