Möglichkeiten der politischen Jugendbildung im Web 2.0

Am 22. Juni habe ich bei der Innovationsgruppe „Beteiligung und Kompetenz in der Mediengesellschaft“ (innerhalb der Evangelischen Trägergruppe für gesellschaftspolitische Jugendbildung) einen Vortrag zum Thema „Möglichkeiten der politischen Jugendbildung im Web 2.0 aus christlich-sozialethischer Perspektive“ gehalten.

Ich habe versucht, dies aus der Perspektive der Christlichen (Sozial-) Ethik zu tun. Die Ebene, die damit angesprochen war, habe ich so beschrieben: Welche Möglichkeiten sind wünschenswert? Wie komme ich zu einer Formulierung des Wünschenswerten? Was möchte und was soll ich berücksichtigen, bevor ich an die konkrete Umsetzung gehe? Was sind meine Optionen?

Begriff der Option meint „Möglichkeiten“, aber in der Tradition christlicher Ethik meint Option auch: Wir sind schon auf bestimmte Möglichkeiten „festgelegt“ bzw. diese legen sich biblisch nahe. Diese „Optionalität christlicher Ethik“ schließt Möglichkeiten aus und rückt anderen bestimmte Möglichkeiten positiv in den Blick. Das Ziel meines Beitrags lag darin, diese „Optionalität christlicher Ethik“ auf das Thema „politische Jugendbildung im Web 2.0“ hin zu denken.

Hier gibt es die Präsentation dazu:

Rezipienten- und Publikumsethik im Web 2.0

Die Rezipienten- oder Publikumsethik geht davon aus, dass nicht nur diejenigen, die Inhalte erstellen und verbreiten, gewisse moralische Verpflichtungen haben, sondern das dies auch für das Publikum gilt. Wie das?

Zunächst ist die Ethik der Medienschaffenden am verständlichsten und leuchtet intuitiv ein: Das Handeln von Publizisten, Filmemachern und Werbern muss sich an moralischen Kriterien messen lassen. Wahrhaftigkeit ist z.B. so ein Kriterium, an denen sich Journalisten und Blogger orientieren sollen. Die Medienethik beschäftigt sich mit solchen Kriterien: sie versucht sie zu entdecken, untersucht ihren Verpflichtungscharakter und ihre empirische Wirksamkeit, kritisiert gewisse Normen und hilft, neue normative Orientierungen zu begründen und zu implementieren.

Gerade im Web 2.0 gerät wieder verstärkt das Handeln der Rezipienten in den Blick ethischer Reflexion. Das liegt vor allem daran, dass im Web 2.0 Nutzer nicht mehr klar von Produzenten von Information zu unterscheiden sind bzw. beides eng zusammen läuft. Manfred Rühl hat dabei aber schon immer deutlich gemacht, dass Kommunikation, auch öffentliche Kommunikation, als fortschreitender Kreisprozess zu analysieren ist, an dem Produzenten wie Publika gleichermaßen beteiligt sind. In diesem Sinne ist der Hörer oder der Leser immer auch schon Kommunikator, weil ohne sein Zutun ja gar keine Kommunikation vorliegen würde (es sei denn, ein Selbstgespräch eines psychisch gesunden Menschen im einsamen Wald würde als Kommunikation interpretiert werden können können). Hinzu kommt, dass nicht nur die Produktion von Inhalten öffentlicher Kommunikation ein sozialer Prozess (etwa einer Arbeitsorganisation, z.B. Zeitungsredaktion) ist, sondern auch die Rezeption des Publikums in seiner Sozialform analysiert werden kann.Vgl. dazu Filipović, Alexander (2007): Öffentliche Kommunikation in der Wissensgesellschaft. Sozialethische Analysen. Bielefeld: W. Bertelsmann (Forum Bildungsethik, 2), S. 111-115. – Wie auch immer: Es gibt eine Menge von medienethischen Texten, die die Bedeutung einer Rezipienten- oder Publikumsethikethik verdeutlichen (s.u.).

Axel Maireder berichtet heute in seinem Blog über eine Tagung, bei der die “Soziale Verantwortung von Produsern” zum Thema gemacht wurde. Er stellt die Frage, ob der Informationsweitergabe durch Web 2.0 User in Facebook, Twitter usw. nicht auch die gleichen medienethischen Kriterien zu Grunde liegen sollten, wie sie auch für die Produzenten klassischer Medieninhalte gelten. Mit anderen Worten: Muss ich also z.B. jede Information auf Wahrheit prüfen, bevor ich auf “gefällt mir” klicke oder bevor ich die Meldung “retweete”, weil ich dadurch ja in der Tat zu einer Verbreitung dieser Information beitrage? Gute Frage! Ich bin mir im Moment unsicher, ob die rezipientenorientierte medienethische Literatur im obigen Sinne zur Bearbeitung dieser Frage etwas zu sagen hat… Das Heft 1/2009 der Zeitschrift für Kommunikationsökologie und Medienethik zum WEB 2.0 geht in keinem Beitrag direkt auf diese Frage ein.

Axel Maireders Hinweis auf den “Fall Boateng” passt hier natürlich sehr gut… Vgl. dazu vor allem Jan Schmidts Bericht über seine kommunikationssoziologische Beschäftigung mit der Sache. Alles in allem tun sich hier reichliche Bewährungsfelder für die (neue) Medienethik auf.

Literaturliste Publikums- und Rezipientenethik:

  • Christians, Clifford G. (1989): Gibt es eine Verantwortung des Publikums? In: Wunden, Wolfgang (Hg.): Medien zwischen Markt und Moral. Beiträge zur Medienethik. Stuttgart: Steinkopf, S. 255–266.
  • Funiok, Rüdiger (1996): Grundfragen einer Publikumsethik. In: Funiok, Rüdiger (Hg.): Grundfragen der Kommunikationsethik. Konstanz: UVK, S. 107–122.
  • Funiok, Rüdiger (2000): Zwischen empirischer Realität und medienpädagogischer Praxis. Das Publikum als Adressat der Medienethik. In: Rath, Matthias (Hg.): Medienethik und Medienwirkungsforschung. Wiesbaden: Westdeutscher Verl., S. 89–104.
  • Funiok, Rüdiger (2007): Medienethik. Verantwortung in der Mediengesellschaft. Stuttgart: Kohlhammer (KON-TEXTE, 8).
  • Jansen, Gregor M. (2003): Mensch und Medien. Entwurf einer Ethik der Medienrezeption. Frankfurt a.M.: Peter Lang (Interdisziplinäre Ethik, 30).
  • Lübbe, Hermann (1994): Mediennutzungsethik. Medienkonsum als moralische Herausforderung. In: Hoffmann, Hilmar (Hg.): Gestern begann die Zukuft. Entwicklung und gesellschaftliche Bedeutung der Medienvielfalt. Darmstadt, S. 313–318.
  • Rühl, Manfred (1990): Moral in der Wissensvermittlung. Anmerkungen zur Diskussionslage in der Kommunikationswissenschaft. In: Ruß-Mohl, S. (Hg.): Wissenschaftsjournalismus und Öffentlichkeitsarbeit. Tagungsbericht zum 3. Colloquium Wissenschaftsjournalismus vom 4./5. November 1988 in Berlin. Gerlingen: Bleicher (Materialien und Berichte/Robert Bosch Stiftung. 32), S. 153–163.
  • Veith, Werner (2002): Ethik der Rezeption. In: Hausmanninger, Thomas; Bohrmann, Thomas (Hg.): Mediale Gewalt. Interdisziplinäre und ethische Perspektiven. München: Fink (UTB für Wissenschaft, 8216), S. 277–390.
  • Wunden, Wolfgang (1996): Auch das Medienpublikum trägt Verantwortung. In: Funiok, Rüdiger (Hg.): Grundfragen der Kommunikationsethik. Konstanz: UVK, S. 123–132.

Freundschaft im Web 2.0

Verändert sich unser Begriff von Freundschaft im Neuen Netz? Am 12.06.2010 bin ich zu einem Vortrag und der Leitung einer Gesprächsrunde zum Thema “Freundschaft im Web 2.0″ in die Kath. Akademie München eingeladen. Bei der Tagung geht es um “Freundschaft – Band fürs Leben. Aktualität einer besonderen Beziehung“. Es verspricht ein interessantes Programm zu werden, bisher ist aber noch nichts veröffentlicht worden (ich habe nur einen Entwurf gesehen).

Nun zeichnet Freundschaft sich ja durch Ortlosigkeit aus: Wir haben eine Intuition, was das ist und das es etwas Gutes ist, aber das Bezeichnete lässt sich schwer fassen (vgl. die Studie von Silvia Bovenschen „Die Bewegungen der Freundschaft“) und verflüssigt sich im Moment des (theoretischen) Zugriffs. Bei Luhmann kann man lernen, dass es um einen sozialen Begriff von Zusammengehörigkeit ging und in diesem Sinne „Freundschaft“ eine doppelte Zielrichtung der Integration persönlicher wie auch sozialer Beziehungen hatte (hatte! – alles alteuropäische Semantik).Vgl. dazu die interessante Studie: Kersten, Catrin (2008): Orte der Freundschaft. Berlin: Kulturverl. Kadmos (Kaleidogramme, 22)

In der modernen differenzierten Gesellschaft verliert Freundschaft in mindestens sozialer Hinsicht sein integrierendes Moment, ohne aber dabei das soziale Moment überhaupt einzubüßen. Nähe, auch körperliche Nähe (auch Männer umarmen ja ihre Freunde und klopfen sich zum Zeichen, dass die Umarmung abzubrechen ist, einander kräftig auf die Schulter…), Beziehung, die Tendenz, Sachverhalte und Probleme persönlich zu verhandeln, die Akzeptanz einer bestimmten Verpflichtung im Rahmen einer Freundschaft usw. prägen nicht mehr die Ordnung der Gesellschaft, bleiben aber natürlich persönlich relevant und beruhen natürlich auf sozialen Konventionen, Traditionen, Geschichten und Überlieferungen.

Ob das alles auch im Neuen Netz gilt? Ich vermute schon. Die Erwartungen an Freundschaften werden sich zwar verändern (wie sie es schon immer getan haben), aber die Netzartigkeit der Freundschaft wird zunächst nichts daran ändern, dass es sich immer noch um Freundschaften handelt.

Aber das sind nur erste Überlegungen. Ich habe zwei Texte, die mir weiterhelfen. Vielleicht hat der ein oder andere ja noch einen Hinweis:

  • Schmidt, Jan-Hinrik; Hasebrink, Uwe; Paus-Hasebrink, Ingrid (Hg.) (2009): Heranwachsen mit dem Social Web. Zur Rolle von Web 2.0-Angeboten im Alltag von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Berlin: Vistas-Verl. (Schriftenreihe Medienforschung der Landesanstalt für Medien Nordrhein-Westfalen, 62), S. 268-277.
  • Schmidt, Jan-Hinrik (2009): Die Kinder von XING und ICQ. In: neue gespräche, H. 6, S. 14–17.

Interview zur Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“

Bild Interview Filipovic NOZGestern, am Donnerstag (28. Januar 2010) ist in der Neuen Osnabrücker Zeitung ein ausführliches Interview mit mir zur geplanten Enquête-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ erschienen. Es trägt den Titel: „Von der digitalen Elite abgehängt? Wissenschaftler warnt vor einer Spaltung der Gesellschaft – Politik muss gegensteuern.“

Das Interview ist bisher nicht online; nur eine kurze Zusammenfassung ist verfügbar, die aber den Inhalt nur verkürzt darstellen kann. Das gesamte Interview werde ich, Genehmigung vorausgesetzt, hier noch nachliefern.

Update 19:00 Uhr: Mit freundlicher Genehmigung der Neuen Osnabrücker Zeitung hier das Interview als pdf (Quelle: „Neue Osnabrücker Zeitung“ vom 28.01.2010)

Update 21.02.2010, 18:16 Uhr: Mittlerweile hat sich der Antragstext für die Kommission verändert und das Plenum des Bundestages hat seine Zustimmung zur Konstitution erteilt. Hier weitere Informationen.

Ethik der Entwicklung – Call for Papers (Forum Sozialethik 2010)

Soeben ist der Call for Papers für die Tagung des Forums Sozialethik 2010 zum Thema „Ethik der Entwicklung“ veröffentlicht worden.

Was ist das Forum Sozialethik?

Das Forum Sozialethik ist eine Initiative junger Sozialethikerinnen und Sozialethiker und dient dem Austausch von Nachwuchswissenschaftlern und -wissenschaftlerinnen (Promotion, Habilitation, Privatdozenten und -dozentinnen) sowie fortgeschrittenen Studierenden des Faches Sozialethik im deutschsprachigen Raum. Interessierte benachbarter Disziplinen sind herzlich willkommen. Weitere Informationen unter www.forumsozialethik.de.

Alle weiteren Informationen auf der Tagungswebsite.

Web 2.0 in der Perspektive kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit

öa kirchAm Freitag (15.01.2010) war ich zu Gast beim 7. Forum für kirchliche  Öffentlichkeitsarbeit (*.pdf) zum Thema „Web 2.0 – und was nun? Neue Kommunikationsinstrumente für die Gewinnung und Information von neuen Zielgruppen“. Leider konnte ich nicht die ganze Tagung besuchen, so habe ich Jan Schmidts Beitrag verpasst (seine Folien bei slideshare).

Selbst hatte ich die Aufgabe, einen Beitrag von Bischof Dr. Gebhard Fürst zu kommentieren. Bischof Fürst skizzierte (in seiner Funktion als Vorsitzender der publizistischen Kommission der DBK) die Position der Deutschen Bischofskonferenz zu den kirchlichen Bemühungen im Bereich der Neuen Medien. Vor allem setzen die Bischöfe auf Bewegtbilder und arbeiten an einer Plattform, auf der sie die Beiträge publizieren können; der Relaunch von www.katholisch.de steht wohl dieses Jahr bevor.

Mich verwirrt die starke Fokussierung auf Internet-TV ein bisschen, da ich mir nicht so recht vorstellen kann, wer das schauen soll. Allerdings gibt der Erfolg von gloria.tv denjenigen Recht, die dem Internet-TV im Bereich der Kirche eine gute Zukunft voraussagen.

In meinem Kommentar habe ich mich aber vor allem auf Soziale Netzwerke bezogen. Die katholische Kirche ist hier sehr verunsichert, wie da vorzugehen ist: Entweder mit allem Engagement hinein oder eher doch vorsichtig und abwartend. Ich habe im Kommentar versucht zu zeigen, das jede Institution es im Neuen Netz schwer hat und dies für die Institution Kirche vermehrt zutrifft. Es wäre also deutlicher zwischen institutionellen Bemühungen auf der einen und themen- und vor allem personenzentrierten Anstrengungen auf der anderen Seite zu unterscheiden. Für letztere Dimensionen sehe ich gute Möglichkeiten im Neuen Netz. Für diejenigen, die den Vortrag gehört haben, sind vielleicht die Folien interessant (slideshare).

Der Vortrag hat, so mein Eindruck, einen kleinen Startschuss geben können für eine sehr rege Diskussion über neue Formen der kirchlichen Kommunikation. Auch meine Idee einer Iphone-App, die den nächsten Gottesdienst in der Nähe anzeigt, ist offenbar auf fruchtbaren Boden gefallen. Zuetzt: Getwittert wurde auch sehr rege, auch zu dem Vortrag von Jürgen Pelzer.

Programm für die Tagung vom Netzwerk Medienethik fertig

Programm 2010 bild So, gerade noch vor Jahresende ist das Programm der Jahrestagung 2010 des Netzwerkes Medienethik zum Thema “Ethik der Kommunikationsberufe: Journalismus, PR und Werbung” fertig geworden. Zusammen mit Christian Schicha, dem 1. Sprecher der DGPuK-Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik, habe ich Einreichungen geprüft und aus den ausgewählten Vorschlägen ein Programm gebastelt. Ich bin froh, dass so viele gute und interessante Vorträge zusammen gekommen sind und freue mich schon auf die Tagung im Februar in München.

Näheres steht auf der Tagungswebsite. Das Programm haben übrigens meine Freunde aus Ost-Westfalen gestaltet: Steffi und Jeldrik von “synpannier.”. Danke!

Der Thrill von Twitter

“Im Interview mit Sängerin Stefanie Kunschke kam heraus, dass sie auch Michael Jacksons “Twitter” daheim im CD-Regal hat.”

Aus: Zur Debatte. Themen der Katholischen Akademie in Bayern, 39. Jg (2009), H. 5, S. 43.

Wohlfahrtsverantwortung?

die-erosionIm Rahmen einer Arbeitstagung zum Thema „Die Erosion des Normativen. Fachtagung zu den Beschäftigungsverhältnissen in Wohlfahrts-verbänden“ (01.10.2009, 10:00 – 18:00 Dorothee-Sölle-Haus, Königstr.54, Hamburg) geht es um die konkreten Arbeitsbedingungen in den kirchlichen Wohlfahrtsdiensten und um die für die Zukunft der gesellschaftlichen Wohlfahrtsorganisation relevanten gesellschaftspolitischen Fragen. Konkreter: Wenn Diakonie und Caritas zu „Sozialkonzernen“ unter unsicheren politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen werden… was bedeutet das für das Selbstverständnis dieser Verbände und allgemein für unseren Sozialstaat?

Veranstaltet wird die Tagung vom Hamburger Institut für Sozialforschung und der Evangelische Akademie der Nordelbischen Kirche.

Bei der Tagung halte ich einen Vortrag zum Thema „Was ist heute Wohlfahrtsveranwortung?“. Dabei geht es um die Frage, wer in der Verantwortung für die Wohlfahrt der Gesellschaft steht. Weder hat der Staat die alleinige Verantwortung noch kann alle Verantwortung auf die Einzelnen „geschoben“ werden. Vielmehr ist sozialethisch (Subsidiarität und Beteiligungsgerechtigkeit!) von einer gestuften und verschränkten Verantwortungsteilung auszugehen.Vgl. Heimbach-Steins, Marianne (2007): Wohlfahrtsverantwortung. Ansätze zu einer sozialethischen Kriteriologie für die Verhältnisbestimmung von Sozialstaat und freier Wohlfahrtspflege. In: Dabrowski, Martin; Wolf, Judith (Hg.): Aufgaben und Grenzen des Sozialstaates. Paderborn, München, Wien, Zürich: Schöningh, S. 9–42. Mein Beitrag zielt also auf eine normative Unterfütterung der institutionellen christlichen Wohlfahrtstätigkeit und auf einen christlich-sozialethischen Beitrag zur Sozialstaatsdiskussion.

Nähere Informationen auf dieser Website und im Flyer (*.pdf). Vgl. auch die Ankündigung bei forumsozialethik.de.

Christliche Sozialethik als Wirklichkeitswissenschaft – Grundlagen

Christliche Sozialethik als Wirklichkeitswissenschaft zu beschreiben, entspricht zunächst nicht einer üblichen Terminologie. Eine ethische Disziplin als Wirklichkeitswissenschaft zu beschreiben mag sogar irritieren, da es die Ethik doch nicht dem Sein (dem real Gegebenen), sondern mit dem Sollen (dem idealen Richtigen und Guten) zu tun hat.

Die Sozialethik betrachtet das Soziale (zunächst kann offen bleiben, was damit gemeint ist) als ihren Gegenstand (materiale Spezifität der Sozialethik) oder geht moralische Fragen das Soziale betreffend anders an (formale Spezifität der Sozialethik).Für die erste Variante kann die Münchener Schule im Gefolge Korffs gelten, z.B. (Hausmanninger 2002), die zweite Sichtweise wird z.B. bei Mieth deutlich, vgl. (Mieth 2002), S. 503: Sozialethik „ist das Ganze der Ethik auf eine bestimmte, institutionenbezogene Weise“. Die Problematik des Eigenen des sozialethischen Zugriffs halte ich für eine wichtige und größtenteils offene Grundlagenfrage der Christlichen Sozialethik (vgl. (Filipovic 2009 (im Druck))). Wichtig ist es aber so oder so, die Analyse des Sozialen systematisch von normativen Vorschlägen zur Verbesserung der Gesellschaft zu trennen.

Diese Analyse oder Wahrnehmung des Sozialen stellt selbst eine Schwierigkeit dar. Mit welchen Mitteln und Methoden nehmen wir das Gesellschaftliche wahr, welche Begriffe und Theorien werden benutzt? Nach welchen Kriterien ist hier aus der Vielzahl an Angeboten auszuwählen? Bedeutsam ist in diesem Kontext, dass sich eine Analyse und Wahrnehmung nicht einfach in einer reinen Darstellung erschöpfen kann. Eine rein objektive Darstellung des Sozialen ist nicht möglich, weil eine Darstellung immer auswählen muss und gewichtet. Wahrnehmung und Analyse ist immer vor allem ein Verstehensprozess. Wenn es im wissenschaftlichen Kontext um Verstehen geht, dann spricht man von Hermeneutik im Sinne einer Methodik, die die Voraussetzungen und Bedingungen des Verstehens in bestimmten Fällen auszuweisen versucht.

An dieser Stelle kann das typisch Christliche der christlichen Sozialethik gesucht und gefunden werden. Das Christliche lässt sich als eine bestimmte Weise der Selbst- und Weltwahrnehmung beschreiben und das heißt, dass die Christliche Sozialethik die Wirklichkeit in bestimmter Weise wahrnimmt, beschreibt, analysiert, versteht und erklärt. Diese bestimmte Weise der Wahrnehmung kann dann als christliche Hermeneutik beschrieben werden. Christliche Sozialethik hat sozusagen andere Antennen, einen anderen Empfänger und ein anderes Wiedergabegerät für den Weltempfang als Philosophen, Künstler oder Journalisten. Dabei geht es nicht in erster Linie um besser oder schlechter oder wahr und falsch. Es geht vielmehr um die inhaltlichen Überzeugungen christlich gläubiger und geprägter Menschen, die dazu führen, die Welt mit anderen Augen zu sehen. Es gibt dabei keinen christlichen Anspruch, die Welt anders als andere sehen zu wollen, sondern Christen sind überzeugt davon, dass andere Weltwahrnehmungen ihr eigenes Recht haben und diese letztlich und im Grunde kompatibel sind mit der christlichen Weise. Dennoch treten Christinnen und Christen mit dem Anspruch auf, ihre spezifische Aufmerksamkeit, mit der sie die Welt erfahren, ist wichtig und unverzichtbar.

Diese Optionen der Aufmerksamkeit, mit der die christliche Sozialethik das Soziale betrachtet, lassen sich so beschreiben: Es ist im Wesentlichen die Aufmerksamkeit für „Unterdrückte, Benachteiligte und Marginalisierte“ und „für gefährdete Institutionen des Humanen“ (Mandry 2002, S. 507).Diese Optionen finden sich in der Bibel, vgl. zu Bibel und christlicher Sozialethik (Heimbach-Steins 2004).

Wenn die christliche Sozialethik in dieser Weise auf das Soziale schaut, ergeben sich ganz bestimmte Problemfelder und Problemlagen. Das Soziale wird zugleich mit seinen Strukturen und Institutionen und in seiner zeitlichen Dimension betrachtet. Die „Zeichen der Zeit“ des (welt-)gesellschaftlichen Lebens stehen dann für diese aktuellen gesellschaftlichen Problemfelder und Problemlagen, z.B. die Klimakatastrophe mit ihren Folgen für weltweite soziale Gerechtigkeit, die Situation der Bildung in Deutschland mit ihren fatalen Folgen für Kinder aus den armen und augeschlossenen Familien oder die Möglichkeiten und Gefahren moderner biomedizinischer Forschung.

Diese Sozialanalyse in Orientierung an den „Zeichen der Zeit“ ist essentiell für eine moderne christliche Sozialethik, die da ansetzen muss, wo sich ihre Vorschläge zur Verbesserung gesellschaftlicher Zustände auch bewähren sollen: in der Wirklichkeit.Vgl. (Höhn 1991), S. 288-290.

Damit sind die Grundlagen angedeutet, warum Christliche Sozialethik als Wirklichkeitswissenschaft beschrieben werden kann. Hier wurde aber noch nicht behandelt, dass die Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit auf verschiedene Quellen zurückgreifen und auf verschiedene Art und Weise geschehen kann. Die Frage nach dem Wie der gesellschaftlichen Wirklichkeitswahrnehmung ist noch kaum beantwortet. Es ist dafür (an anderer Stelle) zu differenzieren zwischen wissenschaftlichen Darstellungen und ästhetischer, religiöser und alltäglicher Erfahrung.

Literaturverzeichnis

  • Filipovic, Alexander (2009 (im Druck)): Die Eigenlogik Christlicher Sozialethik und das interdisziplinäre Gespräch. In: Heimbach-Steins, Marianne; Kruip, Gerhard; Kunze, Axel-Bernd (Hg.): Menschenrecht auf Bildung. Maßstab für die Bildungspolitik in Deutschland. Bielefeld: W. Bertelsmann (Forum Bildungsethik, 6).
  • Hausmanninger, Thomas (2002): Grundlegungsfragen der Christlichen Sozialethik als Strukturenethik auf der Schwelle zum 21. Jahrhundert. In: Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften, Jg. 43, S. 185–203.
  • Heimbach-Steins, Marianne (2004): Biblische Hermeneutik und christliche Sozialethik. In: Heimbach-Steins, Marianne (Hg.): Christliche Sozialethik. Ein Lehrbuch. Bd. 1. Grundlagen. Regensburg: Pustet, S. 83–110.
  • Höhn, Hans-Joachim (1991): Im Zeitalter der Beschleunigung. In: Furger, Franz; Heimbach-Steins, Marianne (Hg.): Perspektiven christlicher Sozialethik. Hundert Jahre nach Rerum Novarum. Münster: Regensberg, S. 283–302.
  • Mandry, Christof (2002): Art. Theologie und Ethik (kath. Sicht). In: Düwell, Marcus; Hübenthal, Christoph; Werner, Micha H. (Hg.): Handbuch Ethik. Stuttgart, Weimar: Metzler, S. 504–508.
  • Mieth, Dietmar (2002): Art. Sozialethik. In: Düwell, Marcus; Hübenthal, Christoph; Werner, Micha H. (Hg.): Handbuch Ethik. Stuttgart, Weimar: Metzler, S. 500–504.