Menschengerechte Demokratie. Das neue Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften

Eine schöne Aufgabe meiner Münsteraner Zeit (bis August 2013) war die Schriftleitertätigkeit beim Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften (vgl. auch den Wikipedia-Artikel). Durchaus eine herausfordernde Aufgabe, denn man hat immer zwei umfangreiche Bände in Vorbereitung, Druck oder Planung. In meiner Zeit am ICS in Münster mussten wir das Jahrbuch ziemlich umkrempeln und haben die Chance genutzt, das traditionsreiche Organ für heutige wissenschaftliche Publikationserfordernisse zu gestalten.

Das bedeutete neben der Einführung eines Peer-Review-Verfahrens vor allem, eine Online-Plattform zu schaffen und das Jahrbuch parallel zur Printausgabe auch online zu publizieren. In Zusammenarbeit mit der ULB Münster und mit Förderung durch die DFG ist uns das mit der Publikationssoftware OJS prima gelungen. Nicht nur werden unter www.jcsw.de die laufenden neuen Bände publiziert. Wir konnten auch alle bisher erschienenen Bände seit 1968 digitalisieren und so der (wissenschaftlichen) Öffentlichkeit für Recherchezwecke zur Verfügung stellen. Alles in allem ein zwar sehr zeitintensives, aber lohnendes Projekt.

Das neue Jahrbuch 54 (2013)

Das neue Jahrbuch für Christliche Sozialwissenschaften hat den thematischen Schwerpunkt „Demokratie“. Der Band ist dem Münsteraner Sozialethiker und Soziologen Karl Gabriel zum 70. Geburtstag gewidmet.

Zusammen mit Anna Maria Riedl habe ich einen Literaturbericht (peer-reviewed) beigesteuert: Der Text mit dem Titel „Demokratie und Christliche Sozialethik. Demokratie als Thema der deutschsprachigen katholischen Sozialethik nach 1945 – ein Literaturüberblick“ verfolgt das Ziel, einen kritischen Überblick über Texte aus dem Bereich der katholischen Christlichen Sozialethik zum Thema Demokratie zu geben. Startpunkt ist im zweiten Kapitel die Suche der katholischen Kirche nach einem neuen Verhältnis zur Demokratie in der Nachkriegszeit. Im dritten Kapitel werden die christlich-sozialethischen Beiträge bis Mitte der 1960er Jahre behandelt, also bis zu den sozialen Umbrüchen der späten 60er Jahre und bis zu den unmittelbaren Impulsen des II. Vatikanums. Eine weitere Zäsur kann dann mit dem Zerfall des Ostblocks und dem Fall der Berliner Mauer ab Mitte bzw. Ende der 1980er Jahre gesetzt werden (viertes Kapitel). Im abschließenden Ausblick kommt der Text zu dem Ergebnis, dass es an einer expliziten ethisch-theoretischen Auseinandersetzung mit der Demokratie in der Christlichen Sozialethik mangelt.

Neben dem korrespondierenden Text meines Freundes und Kollegen Christian Polke („Protestantische Ethik und Demokratie. Ein deutschsprachiger Literaturbericht seit 1945„) gibt es ein paar weitere Highlights im Band:

Der Band kann über den Buchhandel (ISBN 978-3-402-10986-1    , Aschendorff Verlag) oder direkt beim Verlag bezogen werden. Die Texte werden 12 Monate nach Veröffentlichung dann frei online erreichbar sein (also ab 1.1.2015).

Eine Recherche, die zu einem Freitod führte – Medienethische Aspekte einer tragischen Geschichte

Screenshot von http://grantland.com/features/a-mysterious-physicist-golf-club-dr-v/

Es begann mit einer Recherche zum Geheimnis eines „magischen“ Golfschlägers und endete mit dem Freitod der Protagonistin der Reportage. Was ist die Geschichte dahinter und wie lässt sich medienethisch darauf reagieren? Den Fall hat jetzt Hakan Tanriverdi für das Magazin „journalist“ aufgeschrieben.

Das Sport-Blog Grantland veröffentlichte am 14.1.2014 eine Reportage mit dem Titel „Dr. V’s Magical Putter„, geschrieben von dem freien Journalisten Caleb Hannan. Zunächst ging es dem Autor um das Rätsel des magischen Putters. Im Zuge seiner Arbeit an dem Artikel verwandelte sich die Geschichte aber zu einem Rätsel über die Erfinderin des Putters, Dr. V. Diese hatte sich gegenüber Hannan einen Bericht über ihre Person verbeten und wollte nur über den Putter sprechen. Dies hat der Journalist akzeptiert, später aber missachtet: Er fand heraus, dass Dr. V über ihre Vergangenheit die Unwahrheit gesagt hatte, dass sie eine male-to-female Transgender ist und wollte Dr. V mit den Rechercheergebnissen konfrontieren.

Der Text schlug hohe Wellen, wurde erst gefeiert, dann stark kritisiert. Der berechtigte Vorwurf: Die Geschichte ist gegenüber transgender-issues unsensibel und der Journalist hätte den Wunsch Dr. V’s, nicht über ihre Person zu berichten, berücksichtigen müssen. Der Chef von Grantland, Bill Simmons, hat dann einen äußerst bemerkenswerten Text verfasst, in dem er die Schuld für den Tod und die misslungene Reportage auf sich nimmt („The Dr. V Story: A Letter From the Editor„). Ein Text, in dem das journalistische Ethos präzise deutlich wird und sich eine beispielhafte, der Humanität verpflichtete journalistische Verantwortung zeigt. Originaltext und der Beitrag von Simmons sind und bleiben beide online: Als Dokumentation eines schrecklichen Fehlers und mit dem Ziel, dass Journalisten daraus lernen. Ich werde diesen Fall sicher noch oft in medienethischen Seminaren zur journalistischen Ethik benutzen.

Den Fall um die Reportage und Dr. V’s Freitod hat jetzt Hakan Tanriverdi (Twitter: @hakantee) für das Magazin „journalist“ aufgeschrieben. Titel: Eine Lüge, ein Geheimnis und eine Tragödie. Durch seine Anfrage nach einer medienethischen Einschätzung dazu bin ich auf die tragische Geschichte aufmerksam geworden. Alles weitere, auch meine Meinung dazu, in Hakan Tanriverdis lesenswertem Text.

Interview zur Medienethik-Professur

In der Radiosendung „Impuls“ des SWR2 ist heute ein Interview mit mir gesendet worden. Es geht um den neuen Lehrstuhl für Medienethik an der Hochschule für Philosophie und welche Schwerpunkte ich als Professor dort setzen möchte. Das Gespräch führte Anja Brockert.

Das Interview kann hier nachgehört oder heruntergeladen werden. Originale Sendezeit war  der 19.7.2013, zwischen 16:05 und 17 Uhr (Link zur Sendung).

Darf man das Video des mutmaßlichen Attentäters von Woolwich zeigen?

Warnung: Die Links führen zu Seiten, die das Video zeigen. Nach meiner Einschätzung gibt es gute Gründe, das Video nicht zu zeigen bzw. nicht anzuschauen.

Das Video des mutmaßlichen Attentäters von Woolwich macht die Runde im Internet. Nach und nach scheint man sich jetzt Gedanken darüber zu machen, ob es statthaft ist, das Video zu zeigen. Im Spiegel-Online-Artikel zum Thema wird der Londoner Journalismusprofessor Ray Greenslade zitiert mit der Aussage, dass Zeitungen und TV-Stationen „komplett bescheuert“ wären, wenn sie das Video nicht zeigen würden. Spiegel-Online selbst zeigt das Video, genau wie natürlich Bild.de und auch FAZ-Online.

Süddeutsche.de schreibt dagegen:

Im Zuge der Berichterstattung verzichtet Süddeutsche.de bewusst auf die Veröffentlichung von Fotos und Videos mit blutigen Bildern zu diesem Vorfall. Uns ist bewusst, dass andere News-Seiten, auf die wir – nach sorgfältiger Prüfung – in unseren Texten verlinken, derartige Fotos und Videos möglicherweise zeigen. Wir glauben jedoch, dass in diesen Fällen der Informationsgehalt der verlinkten Artikel so hoch ist, dass Verweise dennoch gerechtfertigt sind.

Warum sollte man also das Video nicht zeigen?

Ein Argument ist, dass mit dem Zeigen des Videos die Menschenwürde des Opfers verletzt wird: Der Leichnam des offenbar gerade getöteten Opfers ist im Hintergrund zu sehen, während sein mutmaßlicher Mörder sich inszeniert und triumphiert.

Ach andere Gründe sprechen meines Erachtens gegen ein Veröffentlichung: Die schreckliche Tat wird durch die blutigen Hände, die Waffen und die zeitliche Nähe zum Mord sehr real und echt erfahrbar. Viele Menschen wollen so etwas nicht sehen und sollten geschützt werden – wenigsten durch eine Warnung über dem Video.  Eine Warnung fehlt völlig bei Bild.de, Spiegel Online und FAZ-Online – das halte ich allerdings für eine zu kritisierende Nachlässigkeit. Bei ITV, dem britischen Sender, der das Video offenbar zuerst ausgestrahlt hat, findet sich über dem Video der deutlich sichtbare Satz:

A warning that this video contains graphic images of a man with bloodied hands and holding a meat cleaver:

Auch Kindern und Jugendlichen sollte der Zugang zu so einem Material nicht zu leicht gemacht werden. Zwar kann über die Wirkung solcher Medieninhalte nur spekuliert werden und zwischen dem Anschauen solcher Videos und einer steigenden Gewaltbereitschaft gibt es meines Wissens nach keinen kausalen Zusammenhang. Aber ganz intuitiv würde ich sagen, dass Kinder vor solchen Medieninhalten geschützt werden sollten.

Moralische Überlegungen, also die Würde des Opfers, und Rezipientenschutz angesichts der Grausamkeit sollten in die Entscheidung einfließen, ob das Video gezeigt wird oder nicht. Natürlich besteht auch eine Informationsaufgabe und das Video ist ein wichtiger Fakt bei diesem Mord. Es bleibt eine Abwägungsfrage. In diesem Fall aber denke ich, überwiegen Gründe, die gegen eine Veröffentlichung sprechen.

Und in diesem Sinne ist Süddeutsche.de eben nicht „komplett bescheuert“ (s.o.), nur weil sie sich nicht dem allgemeinen Verhalten anschließt. Man muss nicht der Meinung sein, das Video besser nicht zu präsentieren, aber so eine Entscheidung sollte im journalistischen Alltag eine Option bleiben und nicht für „bescheuert“ erklärt werden.

Update 24.05.2013: Zitiert bin ich (mit Kollege Christian Schicha) zum Thema hier.

Update 28.05.2013: Eine interessante, ebenfalls kritische Einschätzung von Rainer Stadler zum medialen Umgang mit dem Video im Blog „IN MEDIAS RAS“ (Medienblog der NZZ).

Beitrag zum „vernetzten Individualismus“

Gerade ist in den „Katechetischen Blättern“ ein Beitrag von mir erschienen, der die sozialen Phänomene hinter Facebook und Co. (= onlinebasierte soziale Netzwerkdienste) versucht zu beschreiben.

Filipović, Alexander (2013): Individualismus – vernetzt. In: Katechetische Blätter 138 (3), S. 164–169.

Ich stütze mich in meinem Beitrag wesentlich auf das Buch „Networked. The New Social Operation System“ von Harrison Rainie und Barry Wellman. Hier die Einleitungssätze meines Beitrags:

Die digitale Welt der Kommunikation beeinflusst unser Leben in grundlegender Weise. Hinter unserem Gebrauch vom Internet, den mobilen, internetfähigen Geräten und hinter unserer Kommunikation in den sogenannten Social Media zeigt sich ein Muster, das zu einem neuen Paradigma menschlicher Interaktion, zu einem neuen Denkmodell und einer neuen Leitidee des menschlichen Selbstverständnisses schlechthin avanciert. Vernetzung scheint ein Begriff zu sein, der diese Veränderung am treffendsten auf den Punkt bringt. Damit wird nicht, wie man denken könnte, die Individualisierung rückgängig gemacht. Vielmehr ist von einem vernetzten Individualismus die Rede. Das vernetzte Individuum ist der Mensch der digitalen Internetwelt und der vernetzte Individualismus ist das neue soziale Betriebssystem (vgl. Rainie/Wellmann 2012).

Geht man von der These einer grundlegenden Veränderung der Kommunikations- und damit der Lebensweisen in der Welt der digitalen Kommunikationsmöglichkeiten aus, kann man zunächst nach den Auslöse- und Beschleunigungsfaktoren dieses Wandels fragen. Sie werden als soziale und technische Innovationen auf dem Weg zum vernetzten Individualismus vorstellig (1). Wie dieses Paradigma als Praxis realisiert wird, zeigt sich exemplarisch daran, wie Beziehungen und Familien im Modus der Vernetzung »stattfinden« (2). Diese Ergebnisse verschränken sich mit den im Prinzip schon länger bekannten und auch bedrohlichen Phänomenen einer Mediengesellschaft, die mit Virtualität und Inszenierung medienphilosophisch auf den Begriff gebracht werden (3). In einem kurzen Ausblick werden daraus einige grundsätzliche Anforderungen an Erziehung und Bildung in einer Gesellschaft des vernetzten Individualismus deutlich (4).

(Quelle: Filipović 2013, 164)

Das ganze Heft (H. 3 der Katechetischen Blätter 2013, Jg. 138) steht unter dem Thema „Social Media“ und ist vor allem für Pädagogen lesenswert. Hier geht es zur Website des Verlags (Editorial und einige weitere Texte sind einsehbar).

Literatur

  • Filipović, Alexander (2013): Individualismus – vernetzt. In: Katechetische Blätter 138 (3), S. 164–169.
  • Rainie, Harrison; Wellman, Barry (2012): Networked. The new social operating system. Cambridge, Mass: MIT Press.

Papst und Medien, Katholische Presse, Kirche im Rundfunk – die neue Ausgabe von Communicatio Socialis (1/2013)

Die neue Ausgabe von Communicatio Socialis hat die Themenschwerpunkte Papst und Medien, Katholische Presse und Kirche im Rundfunk. Der Artikel „New Pope, New Hope“ gibt besipelsweise einen Überblick über die Papst-Euphorie der letzten Wochen (Volltext hier). Medienethisch besonders beachtenswert der Artikel von Nina Köberer: „Medienethik als Bezugsdisziplin normativer Medienforschung. Konsequenzen medienethischer Reflexion für die Praxis.“

Inhalt

Von Benedikt zu Franziskus

  • Annika Franzetti / Renate Hackel-de Latour / Christian Klenk: „New Pope, New Hope“. Papst-Euphorie: Plötzlich hat das Thema Kirche in den Medien wieder Hochkonjunktur
  • Roland Burkart / Jens-Peter Noll: Die Nachricht vom Papst-Rücktritt. Eine Anatomie ihrer Verbreitung
  • Besondere Aufmerksamkeit gegenüber der Wahrheit. Ansprache von Papst Franziskus an die Journalisten (Dokumentation)

Katholische Presse

  • Christian Klenk: Die Ordens- und Missionspresse in Deutschland. Rahmenbedingungen, Angebot und Rezeption
  • Andrea Franzetti / Annika Franzetti:Die Lage der Bistumspresse – ein Blick über die Grenze. Kirchenzeitungen in Poona, Gitega und Leitmeritz
  • Burkhard Schäfers: Ausbildung für alle Medienbereiche. Das Volontariat in der katholischen Presse unter veränderten Vorzeichen

Kirche im Rundfunk

  • Christian Turrey: Das Gespräch mit den Vielen führen und die Herzen berühren. 25 Jahre Kirche im Privatfunk (KAPRI)
  • Christian Klenk: Vom O-Ton bis zur kompletten Magazinsendung. Die Beiträge der katholischen Kirche im privaten Hörfunk
  • Sven Herget / Verena Horeis: Kirche im medialen Abseits. Warum kirchliche Themen in den Radionachrichten nicht gehört werden

Medienethik

  • Nina Köberer: Medienethik als Bezugsdisziplin normativer Medienforschung. Konsequenzen medienethischer Refl exion für die Praxis

Dokumentation

  • Soziale Netzwerke – Portale der Wahrheit und des Glaubens. Botschaft von Papst Benedikt XVI. zum 47. Welttag der sozialen Kommunikationsmittel
  • Katholischer Medienpreis 2012. Flucht und Migration im Fokus
  • Kirchliche Filmpreise 2012. Auszeichnungen bei internationalen Festspielen
  • Katholischer Kinder- und Jugendbuchpreis 2013. Auszeichnung für Tamara Bach

Literatur-Rundschau

  • Gerda Schaffelhofer (Hg.): Du bist Petrus. Anforderungen und Erwartungen an den neuen Papst (Heinz Niederleitner)
  • André Schüller-Zwierlein / Nicole Zillien (Hg.): Informationsgerechtigkeit (Alexander Filipovic)
  • Marcus Bösch et al. (Hg.): Kill your Darlings. Handbuch für die Journalistenausbildung (Renate Hackel-de Latour)
  • Daniel Roth: Zündstoff für den „Columbine-Effekt“? (Melanie Verhovnik)
  • Konrad Dussel: Pressebilder in der Weimarer Republik: Entgrenzung der Information (Klaus Arnold)

Weitere Infos und Bezug hier.

Eine Bühne für den Attentäter? Die Rolle der Medien im Fall Breivik

Es ist wieder Zeit für die Medienethik: Schon vor Prozessauftakt erreichten mich Anfragen zur Rolle der Medien im Prozess um den Attentäter Anders Behring Breivik. Die Ungeheuerlichkeit der Tat und die Öffnung des Prozesses für die Öffentlichkeit einschließlich einer (regulierten) Möglichkeit von Foto- und Videoaufnahmen haben dazu geführt, dass sich Journalisten aus aller Welt in großer Zahl akkreditiert haben und den Prozess vor Ort begleiten. Breiviks Aussagen „Terror ist Theater“ (Quelle) und dass mit seiner Verhandlung die „Phase der Propaganda“ beginne (Quelle), führten unweigerlich zu der Frage, wie man die Berichterstattung angehen soll. Wie sollte man berichten, ohne dass man das Ziel Breiviks, eine Bühne für seine Ideologie zu bekommen, zu befördern? Ein echtes Dilemma.

Über die Frage, ob man möglichst wenig oder ohne Einschränkungen berichten soll, lässt sich daher trefflich streiten. Der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) mahnt in einer Presseerklärung eine vorsichtige Berichterstattung an:

DJV-Bundesvorsitzender Michael Konken: „Journalisten dürfen sich nicht zu Breiviks unfreiwilligen Helfern machen lassen.“ Der Beschuldigte habe es darauf angelegt, den Strafprozess als Medienspektakel zu missbrauchen. Journalisten dürften ihm nicht auf den Leim gehen. (Quelle, via)

Dagegen meint Nils Minkma in der FAZ:

Auch in so einem Fall bleiben wir bei unseren Regeln und Gesetzen. Wäre ja noch schöner, wenn man Breivik zuliebe den Grundsatz der Öffentlichkeit von Strafverfahren hintergehen würde und ihm, in einer durch und durch abgebildeten Welt, den Sonderstatus eines Mannes ohne Gesicht zubilligte […]. Eine klare und schonungslose Berichterstattung in Wort und Bild, die Präzision darin, das ist die wirksamste Waffe der Medien, ihre vornehmste Aufgabe und im Übrigen auch ihr Job. (Quelle)

Wie wird berichtet? Vor allem der Boulevard zeigt zum Prozessauftakt, das war abzusehen, Breiviks Gesicht in Großaufnahme und/oder seinen offenbar rechtsradikalen Gruß. Der Gesichtsausdruck des Menschen, der beschrieben wird als smart, berechnend und eiskalt, steht für das Monströse der Tat. Einige Zeitungen arbeiten ohne Bild, oder gar ohne Bericht auf der Titelseite. Wie der andere versuchen, in der Bildauswahl den Prozess zu dokumentieren, ohne die Inszenierungsgesten von Breivik zu zeigen.

Die Tagesthemen am 16. April haben einen guten Bericht über die Berichterstattung (medienwissenschaftliche O-Töne von Norbert Bolz und Steffen Burkhard), informieren aber ansonsten ohne besondere Einschränkungen, zeigen also zum Beispiel den angesprochenen Gruß (bei 1 Minute 56), kommentieren dies aber entsprechend. Der nachgereichte Metabeitrag zum Mediengeschehen um den Prozessauftakt wirkt da seltsam. Sehr viel gelungener die gleich in der Anmoderation erfolgte Reflexion im Heute Journal (vom 16. April, via Matthias Rath) von Klaus Kleber und die begründete Entscheidung, warum die Inszenierungsgesten nicht gezeigt werden.

Kolleginnen und Kollegen aus der Medienethik haben sich zur Medienberichterstattung im Prozess um Breivik geäußert; bekannt ist mir beispielsweise das Interview von Christian Schicha. Ich durfte Gast im WDR5 Tagesgespräch am 18.04.2012 sein (hier zum Nachhören; ab 4:30 Minuten bin ich dann dran). Ausgangspunkt war ein dpa-Interview am Dienstag, 17.4.2012. Radio Vatikan (deutsches Programm) hat auch angerufen (Sendung Freitag, den 20.04. um 18 Uhr).

 

Medienethische Tagung zu „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ im Internet

[Anmerkung: Diesen Text habe ich als Pressemeldung für die angesprochene Tagung verfasst, die ich als Sprecher der FG KME in der DGPuK zusammen mit den Kollegen von der FG CVK vorbereitet habe . Zum Teil habe ich zitiert von www.netzwerk-medienethik.de und www.dgpuk.de]

Medienethische Tagung zu „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ im Internet

AuthenticityAn der Frage nach der „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ kommen wir im Zeitalter des Internets nicht mehr vorbei. Sie kennzeichnet die gesellschaftlichen Debatten um die Sozialen Netzwerke, das Leaking und die virtuellen Spielewelten. Es besteht großer Bedarf an politischer Gestaltung und ethischer Vergewisserung. Anonymität ist einerseits wünschenswert, andererseits in manchen Fällen rechtlich problematisch. Wie „echt“ sind Profile in Sozialen Netzwerken, wie kann die Wahrheit von Nachrichten überprüft werden und wie begegnen wir uns im Chat und in der Online Spielewelt? Ist da Platz für die Ethik, und wenn ja: Wie müssen die Normen und Werte dafür begründet und konkretisiert werden?

Die Tagung des Netzwerkes Medienethik fragt unter dem Titel „Echtheit, Wahrheit und Ehrlichkeit“ nach der ‘Authentizität’ in der computervermittelten Kommunikation (16-17. Februar 2012, Hochschule für Philosophie, München). Im Hinblick auf drängende Probleme, etwa Netzpolitik, Internet-Kompetenz und Datenschutz erörtern die Vorträge Bewertungsmaßstäbe der Authentizität und die Möglichkeit der Präsentation multipler Facetten des Selbst. „Trolling“ wird als Teil der sozialen Praxis in Online-Diskussionsräumen untersucht und die Hackerethik(en) mit der Frage nach dem Subjekt im Zeitalter digitaler Identität verbunden.

Theoretische und philosophische Ansätze, die etwa Authentizität und Wahrhaftigkeit in der computervermittelten Kommunikation grundlegend klären, werden mit praktischen Fragen, etwa der konkreten bildlichen Selbstoffenbarung im Netz verbunden. Spannende Konstellationen können erwartet werden, wenn die Philosophen Jean-Paul Sartre und Charles Taylor zu einer zeitgemäßen Internetethik „befragt“ und empirische Untersuchungen zu den Social Media als Kontrolleure und Manipulateure digitaler Wirklichkeiten präsentiert werden.

Die Jahrestagung des Netzwerkes Medienethik wird veranstaltet zusammen mit den DGPuK-Fachgruppen “Kommunikations- und Medienethik” und “Computervermittelte Kommunikation”. Alle weiteren Informationen zu Programm und Anmeldung finden Sie hier: http://www.netzwerk-medienethik.de/jahrestagung/Tagung2012.

Das 1997 gegründete „Netzwerk Medienethik“ hat sich zum Ziel gesetzt, die ethische Orientierung im Medienbereich zu fördern. Es verbindet in einer freien Arbeitsgemeinschaft Theoretiker (aus den Kommunikationswissenschaften, der Journalistik und der Praktischen Philosophie/Ethik) mit Praktikern (aus Berufsverbänden, Selbstkontrollgremien, Verlagen, öffentlich-rechtlichen und pivat-kommerziellen Rundfunkunternehmen). Die jeweils im Februar in München stattfindenden Jahrestagungen mit regelmäßig ca. 100 Teilnehmern stellen ein inzwischen bekanntes Gesprächsforum zu Fragen der Medienethik dar.

Inhaltlich wurde die Tagung vorbereitet von den Fachgruppen “Kommunikations- und Medienethik” und “Computervermittelte Kommunikation” der Deutschen Gesellschaft für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft (DGPuK). Die DGPuK ist die Fachgesellschaft der Kommunikations- und Medienwissenschaft in Deutschland. Die Kommunikations- und Medienwissenschaft beschäftigt sich mit den sozialen Bedingungen, Folgen und Bedeutungen von medialer, öffentlicher und interpersonaler Kommunikation.

Die medienethische Dimension der Wulff-Affäre

Mit den Anrufen von Bundespräsident Wulff bei Kai Dieckmann, Mathias Döpfner oder (laut Cicero-Online) auch bei Friede Springer hat sich die „Kredit-Affäre“ um eine „Medien-Affäre“ erweitert. Dieser Vorgang, dass ein Bundespräsident in dieser Weise Einfluss auf die Berichterstattung in den Medien nehmen möchte, ist in der Tat medienethisch hoch prekär. Vor allem das Vokabular mit dem Christian Wulff in dieser Sache über die Medien spricht (nach allem was man weiß: „Rubikon“, „Krieg“, „Stahlgewitter“) zeigt für mich ganz deutlich, dass Wulff die Medien nicht als eine durch unbedingte Pressefreiheit und Zensurverbot zu schützende kritische Öffentlichkeit begreift, sondern als Bühne, auf der er als Person gut oder schlecht dasteht. Und das ist, bei allem Verständnis für das Bestreben, gut und „richtig“ dargestellt zu werden, für einen Bundespräsidenten kein korrektes, und ich meine: kein moralisch korrektes, Verhalten.

Für mich ist klar, dass Wulff durch seinen ursprünglichen Deal mit der Bild-Zeitung (vgl. Berlin direkt vom 8. Januar 2012), durch den er sich die Rückendeckung der Bild-Zeitung u.a. für seine Scheidung und neue Beziehung sicherte (vgl. ebd.), und seinen Anruf bei Diekmann, selber Schuld an dem Medienzirkus ist, der sich in den letzten Wochen ereignet hat. Das aber darf nicht den Blick darauf verstellen, dass auch der Unterhaltungsjournalismus eine politische Verantwortung hat, Wulff also nicht nur als „Celebrity“ sehen darf, sondern auch als Person, die das Amt des Bundespräsidenten inne hat. Die Bewertungen sollten auseinandergehalten werden: Beziehen Sie sich auf die Kreditaffäre des damaligen Ministerpräsidenten (v. a. rechtliches Problem), beziehen sie sich auf den Umgang mit dieser Affäre (Ebene politischer Klugheit), beziehen Sie sich auf Kontakte zu Unternehmern in seiner Zeit als Bundespräsident (rechtliche und moralische Ebene) oder beziehen sie sich auf Wulffs Medienverständnis und seine Versuche, die Berichterstattung zu beeinflussen (medienethische Ebene).

Für die medienethischen Aspekte sind die Kolleginnen und Kollegen in der wissenschaftlichen Kommunikations- und Medienethik gefragt. So hat Klaus Beck einige Interviews gegeben und Marlis Prinzing verfasste einige Zeitungs-Beiträge.  Auf mich kam vergangenen Freitag die dpa zu und führte ein Gespräch mit mir (ebenfalls für die Hörfunk-Schiene). Der medienethische Dreh der Affäre hatte über das Wochenende seinen Höhepunkt und daher erschien das Interview in jeder erdenklichen Zeitung. Dass man dabei betitelt wird als „Ethikexperte der Deutschen Gesellschaft für Publizistik und Kommunikationswissenschaft“ (DGPuK) ist typisch, aber falsch. Mir ist nicht bekannt, dass die DGPuK einen Ethikexperten oder eine Ethikexpertin hat und wüsste auch nicht, was das sein soll. Aber mein Amt bei der DGPuK, „Sprecher der Fachgruppe Kommunikations- und Medienethik der DGPuK“ ist für das Nachrichtengeschäft viel zu abstrakt. „Experten“ müssen her – und eine medienethische Expertise stelle ich gerne zur Verfügung.

(Bildquelle: Screenshot von http://www.lvz-online.de)

Markt und Moral – Zu Gast bei der Konrad Adenauer Stiftung

Im Rahmen eines Initiativseminars für Stipendiaten der Konrad Adenauer Stiftung zum Thema „Markt und Moral“ war ich eingeladen, eine christlich-sozialethische Sichtweise auf das Thema vorzustellen. Auch dabei: Ruprecht Polenz, Bundestagsabgeordneter der Stadt Münster (hier ein Bericht von seiner Website), Prof. Dr. Peter Kajüter vom Institut für Wirtschaftswissenschaften der Universität Münster sowie Dr. Siegfried Riediger von BASF-Coatings.

Bei solchen Podiumsdiskussionen empfiehlt sich eine prägnante Position und ich hatte mich entschieden, das christlich-sozialethische Potential einer ganz anderen Sichtweise ins Spiel zu bringen. Wirtschaftsethik aus christlicher Perspektive würde sich in dieser Sichtweise nicht an die Wirtschaft und ihre Sprache ausliefern, denn sonst wäre nur eine immanente Kritik möglich, die latent affirmativ bleibt. Statt dessen würde sie auf ihrer eigenen Sprache und ihrer eigenen Hoffnung bestehen und diese gegen die „Erzählung des Marktes“ ins Spiel bringen.

Mein Forderung nach einer christlich motivierten „zünftigen Kapitalismuskritik“ konnte die Stipendiaten der Konrad Adenauer Stiftung aber nicht so richtig von ihren Sitzen reißen 😉 – womit ich natürlich gerechnet hatte.

Natürlich bleiben wichtige methodische Überlegungen in diesem Statement unberücksichtigt, wie zum Beispiel die Notwendigkeit einer sachgerechten Wirtschaftsethik, die eine ökonomische Expertise braucht und insofern auch die ökonomische Sprache beherrschen muss. Aber wie gesagt: Das stand im Dienst einer prägnanten Position.

Bei der gelungenen Podiumsdiskussion hat Ruprecht Polenz das „christliche Menschenbild“ als Grundlage einer Wirtschaftsethik ins Spiel gebracht. Diese Formel, von christdemokratischen Politkerinnen und Politikern ja gerne verwendet, sollte dann begründen, warum man zwar von der Freiheit und Sozialität des Individuums ausgehen, aber auch deren Anfälligkeit für egoistisches Verhalten ins Kalkül ziehen muss. Herr Polenz hat das sehr behutsam ins Spiel gebracht, aber wie man mit dem christlichen Menschenbild argumentieren kann und wie nicht und was das überhaupt sein kann, ein „christliches Menschenbild“ – das wird als Frage übergangen. Aber die Beschäftigung genau mit diesen Fragen wäre für mich der Schlüssel, mit dem man „christliches Menschenbild“ und „Politik“ verknüpfen kann.

Mein Kurzstatement gibt es hier.

(Bildquelle)